Nachruf

16. Juli 2018

Marlis Holzmann-Marti

Grosswangen

Wie hätte sie diesen Frühling und Vorsommer geliebt und genossen – dieses neue Werden – diese Blütenpracht. Das Leben von unserem Mueti ging aber im Winter zu Ende. Unser Mueti hoffte auf ein neues Sein.

Am 16. September 1933 kam Marlis Marti als zweites von sechs Kindern in Wüschiswil, Grosswangen, auf die Welt. Auf dem Bauernhof gab es viel zu entdecken und viel Arbeit. Es war Vorkriegs- und Kriegszeit. Wenn Flugzeuge den Weiler überflogen, hatte Mueti grosse Angst und versteckte sich. Diese Angst begleitete sie ein Leben lang. 

Mueti ging gern in die Schule. Der lange Schulweg war im Winter eine Herausforderung und an schönen Tagen ein Art Freizeit und die Gelegenheit, mit Nachbarskindern unterwegs zu sein.

Nach der Sekundarschule hat Mueti zu Hause geholfen. Es gab viel Arbeit und wie die meisten jungen Frauen lernte sie die Haushaltsführung und Gartenarbeit daheim. In Heiligkreuz, Cham, durfte Mueti später die Haushaltungsschule besuchen. Leider musste sie nach einem halben Jahr diese Ausbildung abbrechen, weil ihre Mutter krank wurde und sie zu Hause gebraucht wurde. In der Bäuerinnenschule Sursee erweiterte sie ihr Wissen. Aus dieser Zeit hatte sie Kontakte, die sie bis ans Lebensende pflegte.

Mit 17 Jahren verliebte sich Mueti in Guido Holzmann vom Innerdorf. Die Treffen der jungen Leute wurden immer von einem Elternteil überwacht – aber manchmal entwischten sie und unternahmen eine Velofahrt nach Luthern Bad. 

1956 heiraten die beiden. Die Hochzeitsreise führte ins Tessin. Und das blieb lange die einzige Ferienreise unserer Eltern. 

Auf dem Bauernbetrieb im Innerdorf wartete ein grosser Haushalt auf die junge Frau, mit Schwiegereltern, Schwagern und Angestellten. Fast alles war Handarbeit und Selbstversorgung war selbstverständlich. Es gab keinen Kühlschrank, keine Waschmaschine, kein Auto, keinen Traktor. 

Von 1957 bis 1966 kamen wir acht Kinder zur Welt, für unsere Eltern jedes ein Geschenk. Wir wurden geliebt, gut umsorgt und so angenommen, wie wir sind. Alle konnten die gewünschte Ausbildung machen. Unsere Eltern standen zu uns, auch wenn wir uns nicht immer wunschgemäss verhielten. Mueti sang oft mit uns bei der Arbeit. Sie hatte aber sonst nicht so viel Zeit, um mit uns «z'gfätterle», Geschichten zu erzählen oder zu spazieren. Das hat Grosi Anna übernommen. 

Als dann 1983 das erste Grosskind zur Welt kam, übernahm unser Mue­ti mit grosser Leidenschaft die Grosi-Rolle. Bis 2015 kamen 23 Gross- und Urgrosskinder zur Welt. Sie hat sie gehütet, mit den Kleinen gesungen, «blüemelet», Geschichten erzählt, junge Katzen gepflegt, bei den geliebten Hühnern die Eier ausgenommen, im Wald Zwergenhäuschen gebaut, auf dem Säureche-Bänkli Zobig gegessen, Honig, Guetzli, Schoggi und Batze verteilt. Und sie hat sich auch oft Sorgen gemacht, wenn ein Grosskind auf Reisen oder krank war. 

Noch einmal zurück zur der Zeit, als ihre eigenen Kinder jung waren. Viele Jahre sassen 13 oder 14 Leute am Tisch. Mueti war die «Managerin». Kochen, backen, den Gemüse- und Blumengarten pflegen, Wintervorrat anlegen, auf dem Hof helfen, die Wäsche besorgen, bergeweise Kleider flicken, Pullover stricken, Ordnung halten im und ums Haus, für die Gäste sorgen und für die älteren Nachbarn, Kinder erziehen und manchmal auch die Lehrlinge. 

Unser Mueti und der Garten, das war ihr Glück und ihre Leidenschaft. Vom Frühling bis in den Winter hinein blühte immer etwas. Besonders ihre Rosen liebte sie. Mueti konnte wunderbare Sträusse binden und Blumengestecke machen. Bei vielen Festen machte sie mit andern zusammen die Blumendekoration. Und sie verschenkte grosszügig ihre Blumen und machte so vielen eine Freude. 

Ein Leben lang lernen, das ist nichts Neues. Mueti hat mit andern Frauen zusammen unzählige Kurse zu allen möglichen Themen besucht. Kurse zu Erziehung und Schule, zu kochen und backen, Theologie und Persönlichkeitsbildung, Imkerei, Garten, Krankenpflege und mehr. Eine Zeitlang war sie auch Mitglied in der Schulpflege. 

Nachdem alle Kinder erwachsen waren, übernahm Mueti zusammen mit andern Frauen Nachtwachen und Sterbebegleitungen im Alterszentrum Linde. Sie liebte diese Arbeit und schätzte das Nachtwache-Team. Es entstanden tiefe Freundschaften. Solange es möglich war, hat Mueti Menschen im Heim besucht, am liebsten die, die niemanden hatten. 

Im Stöckli wurden ihr die Tiere wichtig. Mueti hatte immer eine Schar Katzen zu versorgen und sie liebte ihre Hühner. Die Vögel vor dem Fenster brachten Abwechslung in den Alltag. 

Im März 2015 starb unser Papa unerwartet schnell. Das war schwierig für Mueti. Sie hatte immer mehr Mühe, den Alltag zu bewältigen. Raum und Zeit gerieten mehr und mehr durcheinander. Dank der Hilfe von allen ringsum und der Spitex konnte Mueti noch zwei Jahre im Stöckli bleiben. Aber es wurde zunehmend ein grosser Stress für sie. Sie hatte Angst, war unruhig und traurig. Der Abschied vom Innerdorf und der Eintritt in die geschützte Wohngruppe im Alterszentrum Linde war schmerzvoll. Aber fast vom ersten Tag an war Mueti ruhiger und sorgloser. Sie war behütet und nie allein. Es war für Mue­ti und uns alle ein grosses Geschenk, dass sie so gut aufgehoben und um­sorgt wurde. Viele Besucherinnen und Besucher verkürzten ihr die Tage und schenkten ihr Zeit.

Mueti war dankbar. Im Vertrauen, dass alles gut ist, konnte sie ihr Leben zu Ende leben. Im Frieden mit sich selbst und ihrer Geschichte, mit allen Menschen rundherum, konnte Mueti am 30. Januar 2018 ein letztes Mal ausatmen. Danke Mueti, Grosi, Marlis.

 

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