Nachruf

06. Juni 2017

Marie Vogel-Felder

Menzberg

Unsere Mutter wurde am 7. Feb­ruar 1927 im «Emmeneggli», Schüpfheim, geboren. Ihre Eltern Magdalena und Toni bekamen nach ihr noch sechs Söhne und zwei Töchter. Das jüngere Schwesterchen starb bereits im Kindesalter. Der Hof war klein und die Familie gross und man steckte europaweit in einer ganz schwierigen Zeit. Trotzdem war es den Eltern ein grosses Anliegen, dass jedes Kind einen Beruf und ein Musikinstrument lernen konnte. Marie lernte Gitarre. Der Lehrer kritisierte sie aber so oft, dass sie bald zum Schluss kam, sie eigne sich nicht fürs Gitarrenspiel. Nach der Schule arbeitete sie daheim und in verschiedenen Haushalten und sie besuchte die Bäuerinnenschule in Sursee. Dann war sie im Hotel Adler in Schüpfheim und im Josefshaus in Lungern als Köchin anzutreffen. In Lungern ruderte sie in der Zimmerstunde gerne ihre Feriengäste über den See, bis es ihr verboten wurde. Die Zimmerstunde sei zum Ausruhen da, hiess es.

Pauline Felder hatte auf dem Menzberg einen Freund und fragte ihre Cousine Marie, ob sie mit ihr an die Menzberger Kilbi käme. Dort sass ein junger Menzberger neben ihr, der sie nach durchgemachter Nacht zur Doppleschwander Haltestelle auf den ersten Zug begleitete. Er hiess Xaver Vogel. Pauline heiratete dann nicht, sondern wurde Schwester im Antoniushaus in Solothurn. Von dort erhielt Mueti später manche Unterstützung für ihre Familie.

Xaver und Marie Vogel-Felder heirateten am 22. Mai 1951. Sie waren überglücklich, als zwei Jahre später ein Mädchen auf die Welt kam. Es war eine sehr schwierige Geburt und alle bangten um das Leben des Kindes. So wurde Therese notgetauft, sobald man etwas von ihr sah. Man glaubte damals noch, ungetaufte Kinder kämen nicht in den Himmel, und das war sehr schlimm für jede Mutter. In den folgenden Jahren wurden unsern Eltern noch fünf Söhne geschenkt und die Freude war jedes Mal riesengross. So war Mueti auch in ihrer eigenen Familie vor allem von Männern umgeben.

Das nahe Zusammenleben mit den Schwiegereltern war trotz getrennter Wohnbereiche von Anfang an sehr schwierig. Der Schwiegervater zeigte sich hartherzig gegen seine eigene Frau und den Sohn. Mueti musste beide oft trösten. Die Schwiegermutter war viel krank und starb 1963 nach langem Leiden. Mueti pflegte sie bis fast zuletzt und setzte sich dabei oft über ihre Kräfte hinaus ein. Die Kinder waren ja noch klein und die Mithilfe auf dem Hof auch nötig.

Ein halbes Jahr nach dem Tod der Schwiegermutter erkrankte Mueti selber und musste ins Spital. In dieser Zeit starb ihr Vater. Sie konnte nicht einmal am Begräbnis teilnehmen. Das war schwer für sie. Damit die Arbeit für sie nun etwas leichter wurde, kaufte unser Vater eine Heuraupe. Eine halbautomatische Waschmaschine kam in die Küche und eine Auswindetrommel in die Stube. Als der Schwiegervater bald dar­auf auch starb, wurden unsere Eltern endlich Eigentümer des Hofes. Die älteren beiden Kinder verliessen bereits das Haus wegen ihrer Ausbildung. Bei Mueti machten sich bald darauf Schlafstörungen und Ängste bemerkbar, eine Depression erforderte einen Klinikauf­enthalt. Ihre Nerven vermochten das alles nicht zu verkraften, was sie zu tragen hatte, und ihr Leiden wurde damals von der Familie noch wenig verstanden.

In den folgenden Jahren wurde das Haus allmählich leerer. Die Kinder verbrachten die Woche bei den Meistersleuten, wo sie in der Lehre waren. Dafür war am Wochenende viel Betrieb, das hatte Mueti gern. Sie liebte es, wenn am Sonntag musiziert wurde. Mit der Zeit kamen Schwiegertöchter und ein Schwiegersohn zur Familie und Mueti nahm alle mit offenem Herzen auf. 

Als 1980 Myriam geboren wurde, das erste Grosskind, da lebte Mueti wieder sichtlich auf. Ein hoffnungsvoller neuer Lebensabschnitt begann. Innert 13 Jahren kamen 26 Grosskinder auf die Welt. Eines starb früh. Mueti sah ihre Lebensaufgabe darin, eine gute Mutter und jetzt eine gute Grossmutter zu sein. Mit viel Freude und Engagement unterstützte sie die jungen Familien. Sie hütete überall Grosskinder, damit die jungen Mütter Teilzeit arbeiten konnten oder sonst einmal die Hände frei hatten für etwas anderes. Sie war immer inte­ressiert am Leben aller Familienmitglieder und voller Mitgefühl für die Belange ihrer Kinder und Grosskinder.

Als der Hof an Tony überging, wurde das Haus erneuert und die Eltern bekamen eine hübsche Wohnung, in der sie sich wohlfühlten. Jetzt hatten sie Zeit für viele gemeinsame Reisen, sogar ins nahe Ausland und mit Übernachtung. Oder eines der Kinder nahm sie mit auf einen Ausflug. Das waren besonders schöne Erlebnisse. Unvergessen blieb Mueti die Reise mit Sepps Familie nach Versailles.

Vaters 80. Geburtstag konnte sie noch ziemlich unbeschwert mitfeiern, doch gleich danach wurde seine Krankheit bekannt. Er starb ein knappes Jahr später, 1999.

Jetzt war Mueti allein. Die Grosskinder waren grösser, nur Renate brauchte Grosi noch eine Zeitlang als Spielgefährtin. Als Vreni starb, sprang Mueti nochmals ein und kochte oft bei Xaver. Doch bald kam es mehr ihr selber als Xaver zugute, dass sie dort eine Aufgabe hatte. Die Grosskinder fingen nun selber an ihr Grosi zu besuchen und liessen sie spüren, dass sie ihnen viel bedeutet. Viele machten Musik und nahmen sie mit an Konzerte. Auch an den Familienfesten war Mueti gern mit dabei, zuletzt an Tonis und Nicoles Hochzeit. Dabei war ihr keine Autofahrt zu lang und kein Feierabend zu spät. 

Muetis Gedächtnis hatte schon lange nachgelassen. Sie merkte es und bedauerte es manchmal leise. Sie trug es aber mit einem bewundernswerten Gleichmut, wie sie vorher schon vieles klaglos angenommen hatte. Oft hörten wir sie sagen: «De Dädi fäut mer haut scho.» Aber er sei ja nun gut aufgehoben und habe es schön, tröstete sie sich sogleich selber. Und es könne ja nicht mehr lange dauern, bis sie wieder bei ihm sei.

Die letzten drei Jahre lebte Mueti im Heim. Sie war sehr dankbar für die aufmerksame und liebevolle Betreuung dort und für alles, was jemand ihr zuliebe tat. Man spürte: Ihre Lebensaufgabe war für sie erfüllt, sie war reisefertig, bereit für den letzten Aufbruch. Sie wartete nur noch. In der letzten Lebenswoche signalisierte ihr Körper, dass seine Kraft zu Ende geht. Die Signale waren nicht dramatisch und die Umgebung fing erst an, sie zu verstehen. Da folgte Mueti schon dem Ruf und ging heim. Wir gönnen ihr den leichten Abschied und hoffen, dass sie jetzt dort glücklich angekommen ist, wo sie sich so lange hingesehnt hat.