Nachruf

23. Juni 2016

Maria Wiprächtiger-Christen

Maria Wiprächtiger-Christen
Hergiswil b. W.

Unser Muetti hat ein arbeitsreiches, anstrengendes und ausgefülltes Leben gehabt, wie viele Menschen ihrer Generation.

Die erste Zeit ihres Lebens im «Unterskapf» hat sie bis zuletzt in guter Erinnerung behalten, die Zeit, als sie mit ihren Geschwistern und Nachbarskindern vom «Oberhus» ins Hübeli und dann ins Dorf Hergiswil in die Schule ging. Oft hat sie von den Lehrern und vom Schulweg und von fröhlichen, in geselliger Runde verbrachten Sonntagnachmittagen erzählt. In die Schule ist sie immer gern gegangen. Die verschiedenen Fächer und das Lernen von Neuem faszinierte sie. Französisch und Geografie hatte sie besonders gern. Das Interesse am eigenen Land und an fremden Ländern hat Muetti Zeit ihres Lebens beibehalten. Während der Woche war damals für Kinder Arbeit angesagt, zum Beispiel Heuen, täglich zweimal in die Käserei fahren, die Kühe füttern, Socken flicken oder nach dem Nachtessen Bohnen rüsten und gleichzeitig Rosenkranz beten. Aber das alles war nichts Aussergewöhnliches, das gehörte einfach bei Bauernkindern dazu. Sie wurden auch zu Verwandten zum Aushelfen geschickt. Da konnte es schon vorkommen, dass eines der Mädchen wochenlang im «Ellbach» oder in der «Hintersäge» bei Onkeln oder Tanten im Einsatz war.

1945, gleich nach dem Krieg, holte Franz Wiprächtiger seine Maria auf den «Buacher», in einen frauenlosen Haushalt hinein, da Grossmutter kurz vorher gestorben war. Leicht muss diese Zeit für unser Muetti nicht gewesen sein. «Aber me hets eifach gmacht», meinte sie, die ausdauernde, stille Schafferin, wenn wir sie darauf ansprachen, wie sie eigentlich all die Aufgaben um uns Kinder, um den Hof und Papas Tätigkeit im Dienst der Öffentlichkeit bewältigt habe. Oft abwesend, oft von Termin zu Termin eilend, konnte er sich darauf verlassen, dass sie Haus und Hof zusammenhielt. 

Erst als Erwachsene begannen wir zu verstehen, dass Muetti uns durch ihre Gelassenheit und ihr beharrliches Vorwärtsgehen gelehrt hat, dass man auch so zum Ziel kommt.  

Zeit für eigene Ansprüche oder Entspannung blieb kaum. Den Garten und Gmüesplätz hat sie als Hobby angeschaut. Und sie bebaute sie in höchst sorgsamer und fortschrittlicher Weise. Es war für sie ein Geschenk und Grund zur Dankbarkeit zu sehen, wie etwas keimt und gedeiht. Und ihr ganzes Leben lang hat sie sich bei Unwettern oder Trockenheit Sorgen gemacht, ob wohl alles gut komme mit der Nahrung für Mensch und Tier. Auf unsere Fragen, ob sie sich eigentlich erinnere, wie fein sie täglich gekocht habe, wie schön sie mit uns die Sonntage und die Feste im Jahreskreis gestaltet, wie sorgfältig sie unsere Kleider in Ordnung gehalten und unser altes Bauernhaus gepflegt habe, meinte sie höchstens: «Oh, das het mer jo gärn gmacht.» Wir denken gern an ihren Sinn fürs Schöne und Kostbare, ihr Bestreben, das Leben für alle harmonisch zu gestalten, ihre Sorge um alles, was wächst, ihren Respekt der Natur und all ihren Geschöpfen gegenüber. 

Wie vielfältig ihre Aufgaben auch waren, ihre Gross- und Urgrosskinder erhielten von ihr jederzeit uneingeschränkte Zuwendung. Für sie war Grossmuetti wie ein sicherer Fels in der Brandung. Immer bereit, geduldig zuzuhören, zu trösten, ganz für sie da zu sein.

Der Lebenskreis von uns Menschen wird kleiner und kleiner, je älter wir werden. Das haben wir auch mit unserem Muetti erlebt.

Die lange Zeit des Abschiednehmens gab uns Gelegenheit, in ernsthaften Gesprächen Gedanken auszutauschen und Dinge zu klären. Wir sind dankbar, dass wir uns mit ihr trotz ihrer Demenz fast bis zuletzt verständigen konnten. Besonders in Erinnerung bleiben uns ihr unerschütterliches Gottvertrauen und ihr Staunen über die Schöpfung. So hörten wir sie manchmal beim Anblick einer Blume, einer verschneiten Bergkette im Abendlicht oder beim Betrachten des Sternenhimmels in klaren Nächten andächtig sagen: «Isch das nid es Wunder!» 
Liebes Muetti, du hast dich dein Leben lang mit grosser Liebe und Fürsorge um uns gekümmert. Wir danken dir von Herzen für die gemeinsame schöne Zeit. Bhüet di Gott!

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