Nachruf

06. Juni 2017

Alois Vogel-Blum

Pfaffnau

Ohne unbescheiden zu wirken, darf ich sagen, dass uns mit deinem Tod eine grosse Persönlichkeit verlassen hat und ein äusserst vielseitiges Leben zu Ende geht. 90 Jahre lang hast du Geschichte und Geschichten geschrieben, die uns noch lange begleiten werden. Nur eine davon ist, dass dein 90. Geburtstag auch dein Todestag ist.

Lieber Vater, am 11. April 1927 kamst du als drittes Kind in Pfaffnau in der Sagenstrasse zur Welt. Aufgewachsen in einer fünfköpfigen Familie mit ein wenig Land und ein paar Tierchen, die grösstenteils Selbstversorgung ermöglichten, und mit einem Vater, der bodenständiges Handwerk betrieb.

Es gibt studierte Leute, die sagen würden, du seist in einer bildungsfernen Familie aufgewachsen. Ein imposantes Büchergestell hat nämlich gefehlt. Ich aber sage: «Genau in dieser Umgebung entwickeln sich Persönlichkeiten wie du.» Zwischen zwei Weltkriegen geboren und den zweiten als Teenager erlebt. Diese karge Zeit bedingte, dass du als Kind schon Hand anlegen musstest. Ohne Bücher hast du die Gesetze und die Schönheiten der Natur mitbekommen, gelernt, mit dem Rhythmus der Natur zu gehen und was am wichtigsten ist, du hast gespürt und erfahren, dass du nützlich und ein Teil der Familie bist. Zudem wurde dir bewusst, dass es nur funktioniert, wenn auch du deinen Teil dazu beiträgst. Du musstest Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen und hast dadurch eine Selbstständigkeit entwickelt. All dies hat dir einen Sinn im Leben, eine Zufriedenheit gegeben und dich zudem mit Lebensfreude ausgestattet.

Naturverbunden wurde dann auch aus dir ein «Holzwurm». Deine Lehre als Zimmermann bei deinem eigenen Vater und die erworbenen Fähigkeiten in vielen Abendkursen der Holzfachschule verhalfen dir zu einer Sicherheit, selber ein Holzbaugeschäft aufzubauen. 1963 hast du dein Unternehmen mit dem Bau einer stattlichen Werkstatt gestartet. In Spitzenzeiten konntest du 18 Angestellte beschäftigen. Ich spüre noch heute deinen Stolz, wenn du jeweils das bunt geschmückte Aufrichtebäumlein auf den First genagelt hast. Wer kann schon behaupten, dass er unzähligen Familien zu einem Dach über dem Kopf verholfen hat. Weit über die Kantonsgrenze hinaus zeigtest du uns Scheunen, welche du dank deinen zeichnerischen Fähigkeiten – explizit in einem Architekturbüro in Baar erworben – selbst geplant und gebaut hattest. Die grösste Herausforderung zimmermannscher Konstruktionskunst aber war der Glockenstuhl der Klosterkirche in St. Urban. Ein solches Werk ist ein paar wenigen vorenthalten. Du durftest es angehen und zusammen mit deinem Sohn Alois und deinem langjährigen Wegbegleiter Hans Hürlimann hast du auch diesen Auftrag zur besten Zufriedenheit bewältigt. Dies begleitete dich mit Dankbarkeit und Stolz bis an dein Lebensende.

Manchen Schwank, viele Komödien, aber auch die eine oder andere Tragödie hast du in deinem Leben geschrieben. Ein Leben, das sich auf verschiedenen Bühnen abspielte. Sei es mit den Theaterleuten im Kreuzsaal, unzähligen Auftritten als Tafelmajor, als Frontmann, sprich Präsident der Feldschützengesellschaft, der Musikgesellschaft und mehr als 20 Jahre des Handharmonikaclubs, als Maschinist bei der Feuerwehr, mit dem Siegertier in der Kaninchenzucht, als Gründungsmitglied des KTV oder einfach als Patron vom Giebel herab.

Es ist nicht so, dass du dich immer selber da hinaufgehievt hättest. Nein – man wollte dich auch da sehen. Deine Ausstrahlung, dein Charisma, dein Aussehen wie jenes von Kommissar Derrick, dein Charme, deine Redegewandtheit, deine Lebensfreude, dein Humor waren prädestiniert für all diese Aufgaben. Du hast nicht nur an den Aufrichtefesten mit dem Feierabendklatsch den Takt angegeben. Du konntest Leute in deinen Bann ziehen wie kein Zweiter.

Ja, das Leben hat es gut gemeint mit dir und gab dir die Möglichkeit, Versäumtes nachzuholen. Du hast dich zu einem Familienmenschen entwickelt, der mit Stolz den Werdegang seiner sieben Kinder verfolgte. 16 Grosskinder und 9 Urgrosskinder haben dich geliebt und verehren dich. Dadurch ist dir ein langes, langes Weiterleben sicher. Wenn wir dich sonntags oder spontan unter der Woche besuchten, war deine Freude spürbar und offensichtlich. Weihnachten mit über 40 Familienangehörigen im Holsteinstübli feiern zu dürfen, hat dich jedes Jahr neu berührt und zeugt von einem guten Familienzusammenhalt.

Es war rührend zu sehen, wie liebevoll und herzlich du unser Mueti in seinen letzten Jahren betreut, gepflegt und umsorgt hast. Auch dank dir war es möglich, unser Mueti bis zu seinem Tode zu Hause zu behalten. Ja, ihr Tod hat dich besonders getroffen. Aber wenn man 90 Jahre alt wird, dann kommt man nicht drum herum, den Verlust vieler Menschen, die einem wichtig und wertvoll waren, zu verkraften. Dir gelang es immer wieder, einen Weg zu finden. Aktiv bleiben heisst das Zauberwort. Zeitungen lesen, fernsehen auf dem Hometrainer, jassen, einen Ausflug unternehmen, als grosser Muttergottes-Verehrer nach Luthern pilgern, auch Einsiedeln war dir nie zu weit, oder ganz einfach kurz etwas trinken, ja – unter die Leute gehen.

Dein Steckenpferd allen voran war die Blasmusik. Als Champion hat man dich in der Zeitung beschrieben: Eidgenössischer Ehrenveteran für 70 Jahre Vereinstreue. Die 70 Jahre Vereinszugehörigkeit als geschätzter Horn- und Kornettbläser, die Leidenschaft, der Verein, all die Kameradinnen und Kameraden haben dir so viel bedeutet, dass du auch noch mit 88 Jahren in eine neue Uniform gestiegen bist. Wie schwer muss es dir gefallen sein, uns vier Tage vor deinem 90. Geburtstag aufzufordern, die Musikkameraden mit ihrem «Ständli» abzubestellen, du seist dann schon in der Kapelle. Recht solltest du behalten. Deine bis vor Kurzem durch Mobilität, Rüstigkeit und durch deinen wachen Geist verkörperte Unsterblichkeit verblasste in Windes­eile. Was uns bleibt, sind eine Menge schöner Bilder, Erinnerungen, unvergessliche gemeinsame Erlebnisse und trotz aller Trauer grosse Dankbarkeit.

Lebensfreude hast du uns gelehrt, und wir werden sie bewahren.

Lieber Vater, du gabst mir schon Gelegenheit, mich bei dir zu bedanken. Ich tue es an dieser Stelle noch einmal. Lieber Vater, ganz ganz herzlichen Dank.

Übrigens, die Grosskinder, Urgrosskinder sind unendlich traurig. Nie mehr gibt es beim Grossvater, Urgrossvater seine mega, megafeinen Pommes frites.

Erwin Vogel