Als würde man in alten Zeitungen blättern

Der Luzerner Fotograf Emanuel Ammon schildert in einem Buch die Geschichte des «Luzerner Tagblatt». Das 200 Seiten dicke Werk zeigt nicht nur den Wandel des Medienhauses, sondern ist auch ein Stück Luzerner Lokalgeschichte.

Im Bleisatz werden die Seiten gestaltet. Fotoarchiv Emanuel Ammon
Stephan Weber

Kaum zu glauben, wie sich die Luzerner Presselandschaft einst präsentierte. 1914 buhlten laut Historiker Max Huber noch 22 Zeitungen um die Leserschaft im Kanton Luzern. Darunter heute längst verschwundene Blätter wie das «Luzerner Volksblatt», «Der Eidgenosse» oder «Der Wächter am Pilatus». Eine der ersten Zeitungen des Kantons ist das «Luzerner Tagblatt». 1852 wird das Blatt im Besitz von Xaver Meyer erstmals gedruckt. Bis im August 1991 bekanntgegeben wird, was jahrzehntelang undenkbar schien: Das liberale «Tagblatt» soll mit dem konservativ-katholischen «Vaterland» zur «Luzerner Zeitung» zusammengelegt werden. Am 1. November 1991 findet die letzte Redaktionssitzung vor dem Erscheinen der fusionierten LZ statt. Auf einem der Bürostühle sitzt zu diesem Zeitpunkt Emanuel Ammon. Der Fotograf, Buch-Herausgeber und frühere «Tagblättler» hält die letzten Tagblatt-Stunden fotografisch fest.

Vom Bleisatz zum Fotosatz
Das ist eine von vielen Artikeln, die im Buch «Luzerner Tagblatt – eine Mediengeschichte» zu lesen sind. Das Fotobuch rückt vor allem die Ereignisse der Zeitung im Zeitraum zwischen 1960 und 1991 in den Fokus. Zur Sprache kommen im 220 Seiten dicken, reich illustrierten Werk siebzehn ehemalige Tagblatt-Redaktoren – Frauen waren damals auf der Redaktion an der Baselstrasse Exotinnen – die auf süffisante Art und Weise vom Lokaljournalisten-Alltag erzählen. Das Buch bietet jedoch weit mehr als einfach Mediengeschichte. Unglaublich etwa der technologische Wandel, der während der letzten Jahrzehnte in der grafischen Branche vonstattenging. Der ehemalige Journalist Ueli Habegger schreibt darüber im Kapitel «Vom Bleisatz zum Fotosatz». Wo einst am Arbeitsplatz Maschinen dröhnten, surrte plötzlich leise der Computer.

Es ist nicht der einzige Artikel, der einem staunend zurücklässt. Überrascht ist man auch, wie viel Platz früher einzelnen Geschichten eingeräumt wurden. Drei Tageszeitungen kümmerten sich damals um die lokale Kultur, es muss ein Segen für die Kunstschaffenden gewesen sein! Modeschauen in der Luzerner Kornschütte, Theaterbesprechungen am Stadttheater, ein Rockfestival in der Allmend: seitenweise. Oder Berichte aus dem Lager. Emanuel Ammon reiste eigens mit seiner Fotokamera ins Engadin, knipste die Lagerschar, derweil ein Tagblatt-Redaktor textete. «Mit Rucksack und Wanderschuhen durchs Engadin»: eine ganze Seite. Bilderseiten waren im Tagblatt hoch im Kurs. Emanuel Ammon fotografierte den «Kampf gegen das Laub», «Unterwegs mit dem Christbaum …» oder Schnappschüsse des 50. Eidgenössischen Schützenfestes in Luzern. Reportagen gab es zuhauf. Von der Eröffnung des Gotthard- und Seelisbergtunnels oder als die Queen Luzern und das Rütli besuchte. Die Originalseiten, mit eindrücklichen Bildern von damals, machen das Buch zu einem interessanten Nachschlagewerk.

«Eine Wundertüte»
«Mein Antrieb zu diesem Buch war Neugier. Dazu war ein riesiges Archiv vorhanden, sodass ich rasch loslegen konnte», sagt Emanuel Ammon, der 1950 in Luzern auf die Welt kam, eine Ausbildung an der Luzerner Kunstgewerbeschule abschloss und bereits mit 18 Jahren für alle drei Luzerner Tageszeitungen fotografierte. Das Werk sei «geordnetes Wissen» und «spannend wie eine Wundertüte», so der Autor. «Es ist mein Auftrag als Buch-Herausgeber zu ordnen und zu gewichten. So völlig anders als im Internet, wo zwar alles zu finden ist, aber ein heilloses Durcheinander häufig nur Verwirrung stiftet.»

Emanuel Ammon war von 1975 bis 1982 Fotoreporter beim «Luzerner Tagblatt». Der Luzerner schwärmt von den alten Zeiten. Von der «grossen Freiheit», die damals ein Zeitungsmacher genoss. Vom «guten Miteinander» mit den Kollegen der Konkurrenz. Von der Möglichkeit, rasch «viel Verantwortung zu erhalten». Und all das, obwohl der Lohn «sehr gering» und die Arbeitstage «sehr lang» waren. Das «Tagblatt» war auch Talentschmiede. Hier begannen wichtige Karrieren. Etwa von André Häfliger, später Promi-Reporter beim Ringier-Verlag, der sich rühmt, «2500 Kontakte aus dem In- und Ausland» in seinem Handy gespeichert zu haben, von Stephan Klapproth, späterer «10vor10»-Moderator, oder von Peter Studer, einst Chefredaktor des Schweizer Fernsehens und Vorsitzender des Schweizer Presserates.

Ein Buch in Überformat
«Luzerner Tagblatt – eine Mediengeschichte» ist ein grosses Buch – und zwar wortwörtlich. Es kommt im Überformat von 28 x 38 cm daher. Als Leser fühlt es sich an, als würde man in alten Zeitungsbänden schmökern. Einerseits ist das zwar etwas unpraktisch und sperrig, andererseits sind die Zeitungsseiten in dieser Grösse sehr gut zu lesen. «Hätten wir es kleiner gedruckt, wären die Originaltexte nicht mehr zu lesen gewesen», sagt Emanuel Ammon. «Das war ein bewusster Entscheid, der viel zur Qualität des Buches beigetragen hat.» Mit 38 Zentimetern ist das Buch nun fast annähernd so hoch wie eine Zeitungsseite. «Grösser hätten es die Buchbinder nicht machen können», so der Autor.
Liberales Kampfblatt?

«Fortschrittlich-liberale Tageszeitung». So nannte sich das Luzerner Tagblatt. Wer die Zeitung las, wusste: Hier wird liberales Gedankengut vertreten. Werner Wandeler, Redaktor beim Tagblatt in den Jahren 1979–1991, schreibt denn auch in seinen Erinnerungen: «Das Tagblatt machte aus seiner Zuneigung zur liberalen Partei nie einen Hehl. Als für den Kanton Luzern zuständiger politischer Redaktor war ich zu den Sitzungen der liberalen Grossratsfraktion eingeladen und Mitglied der kantonalen Geschäftsleitung der Partei.» Trotz dem Ruf, ein «liberales Kampfblatt» zu sein: Die Tagblatt-Redaktoren hätten keineswegs blindlings liberale Ansichten vertreten, erzählt Emanuel Ammon. Hans Peter Jaeger («Der Redaktor, der Generationen prägte») etwa, einer der wichtigsten Stimmen des Blattes, sei gar SP-Mitglied gewesen.

Viel Lob, trotz Zweifel
Emanuel Ammon ist seit 50 Jahren Fotograf. Er hat in seinem Verlag schon einige Fotobücher herausgegeben. Sie handelten von der Luzerner Fasnacht, vom Jakobsweg oder von der Schweizer Kuh. Noch nie, so erzählt er, habe er so viele positive Reaktionen auf ein Werk erhalten wie nach dem Buch zum «Luzerner Tagblatt». Obwohl es im Vorfeld auch Zweifler gegeben habe. «Ein Journalist hat mir gesagt, er glaube nicht, dass dieses Buch je gedruckt werde», so Ammon. Und fügt mit einem Schmunzeln an: «Nun war er voll des Lobes über das Buch und hat grosse Freude, daran mitgearbeitet zu haben.» 1000 Exemplare hat der 70-Jährige vom Buch im Zeitungsformat drucken lassen. Das müsse reichen, sagt der Autor. «Nachdrucken werde ich nicht.»
 
«Luzerner Tagblatt – eine Mediengeschichte», ISBN 978-3-906105-14-7, ist in den Buchhandlungen und bei www.aurabooks.ch für 93 Franken erhältlich.
 
Stephan Weber

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