Sie sassen auf den Sesseln der «Grossen»

Letzte Woche fand in der Bundesstadt die Eidgenössische Jugendsession statt. 200 Jugendliche machten mit – die Kantonsschule Willisau stellte sieben Teilnehmende. Ob es darum geht, wie Politik gemacht wird, oder mit welchen Inhalten: «Ältere und jüngere Generationen können voneinander lernen.» Dies erzählten die Schülerinnen und Schüler dem WB vergangenen Freitag.

Sieben Schülerinnen und Schüler der Kanti Willisau vertraten die Region vom letzten Donnerstag bis Sonntag an der Eidgenössischen Jugendsession in Bern (von links): Sarah Boog, Kottwil; Etienne Pinter, Willisau; Nico Reber, Altishofen; Max Hofstetter, Doppleschwand; David Imfeld, Schüpfheim; Jasmin Wicki, Schötz; Gabriela Gojani, Menznau. Foto zvg
Ramon Juchli

Ein vereinheitlichtes Einbürgerungsverfahren, bessere Information der Bevölkerung über die Organspende oder eine Reformierung der Pensionskassen-Renten: Dies fordert die Eidgenössische Jugendsession in Petitionen. Eine Mehrheit der 200 Teilnehmenden stimmte diesen am Sonntag in Bern zu. Etienne Pinter, 15, Kantonsschüler aus Willisau, stellte dem im Nationalratssaal versammelten Plenum die Forderung zur Einbürgerung vor. Dass diese in der Session so gut ankam, sei ein schöner Erfolg. «In der Arbeitsgruppe dazu gingen die Meinungen zum Thema zunächst weit auseinander», sagt er. «Am ersten Tag der Session dachte ich: Wir werden uns nie einig!» Schliesslich gelang es doch und die Jugendlichen formulierten ein gemeinsames Anliegen an die Politik.

Wie die Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren zusammen Lösungen finden, liess sich letzten Freitag mitverfolgen. An diesem zweiten Tag der Jugendsession erzählten auch die sechs weiteren anwesenden Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Willisau von ihr Motivation und Erfahrungen.

Auch dank ihnen soll die Stimme der Jugend Gehör finden, wie es die Jugendsession anstrebt. Mehr Mitsprache für Junge ist ein verbreitetes Anliegen. Doch warum ist das Engagement der Jugendlichen so wichtig – für sie selbst und die ganze Demokratie?

 

Komplexe Fragen

Obwohl sie Donnerstag und Freitag vom Unterricht dispensiert waren, finden sich einige Teilnehmende der Jugendsession in einem Schulzimmer wieder. In der Wirtschaft- und Kaderschule Bern diskutieren am Freitagvormittag 16 Jugendliche über mögliche Forderungen zum Thema «Pressefreiheit». Sie stellen sich komplexe Fragen. Wie soll das Gesetz willentliche Desinformation durch Medien bestrafen? Oder: Wie können Medienschaffende vor Gesetzesanwendungen geschützt werden, die ihre Arbeit unnötig einschränken? Zuvor hatte sich die Gruppe anhand eines von der Jugendsession erarbeiteten Dossiers ins Thema eingelesen. Am Donnerstag hatten sie Probleme ausgemacht und passende Lösungsansätze gesucht, die sie am Freitag weiterverfolgten. Die Jugendlichen diskutieren fair, lassen sich ausreden, weisen höflich auf Missverständnisse hin. Nicht alle sind vom Thema gleich mitgerissen, aber immer wieder sind überzeugte Voten zu hören.

Ungewohntes Bild im Bundeshaus: Die 200 Plätze im Nationalratssaal waren am Wochenende für einmal von 14- bis 21-Jährigen besetzt. Foto Yvan Pierri

Eine Meinung bilden

In der Arbeitsgruppe üben die Jugendlichen die politische Arbeit. Jasmin Wicki schätzt dabei den sachlichen Ton, den man sich von Parteien und Parlamenten nicht immer gewohnt ist. Der 17-jährigen Schötzerin ist die Pressefreiheit ein Anliegen. Mit Besorgnis verfolge sie die Entwicklungen in anderen Ländern wie Russland oder Polen, wo kritische Berichterstattung unterdrückt werde. «Das dürfen wir in der Schweiz nicht passieren lassen», sagt sie. Dass die Pressefreiheit nicht einfach so garantiert sei: Dafür möchte sie «ein Bewusstsein schaffen». In derselben Arbeitsgruppe sitzt auch Nico Reber, 18, aus Altishofen. Er höre gerne anderen Argumenten zu und lasse sich überzeugen. In politischen Diskussionen gebe es immer wieder kleine Siege – aber auch Niederlagen. Mit einem Grinsen kommentiert er: «Wenn die Gruppe meine Meinung nicht teilt, nervt mich das schon kurz.» Während Nico Reber sich bereits an der Urne äussern darf, dauert es bis dahin für David Imfeld noch seine Zeit. Der 14-jährige Schüpfheimer schnuppert an der Jugendsession Politluft. Ihn störe es nicht, bis zur Volljährigkeit warten zu müssen, bis seine Stimme zählt. Jedoch sei es wichtig, sich auch schon als junge Person aktiv eine Meinung zu politischen Fragen zu bilden. Gut informierte Bürgerinnen und Bürger brauche die Demokratie – darüber sind sich die drei einig.

 

Austausch mit Politgrössen

Emotionaler diskutieren die Jugendlichen in der Arbeitsgruppe zur Biodiversität. Um diese zu erhalten, werde oft die Landwirtschaft in die Pflicht genommen. Dies könne die Betriebe belasten, ist aus der Gruppe zu hören. Die Voten machen deutlich, dass einige Jugendliche damit Erfahrungen gemacht haben. Beim Besuch der Ständerätin Maya Graf (Grüne, BL) äussern einige unverblümt ihren Unmut darüber, während andere den Fokus lieber auf Massnahmen in der Raumplanung legen wollen. Die Spitzenpolitikerin gibt bereitwillig Auskunft: über persönliche Ansichten, die Chancen der Forderungen der Jugendlichen oder den Alltag als Teil einer Minderheit im Parlament. Maya Graf bestärkt die Jungen in ihrem Engagement – auch ihre eigene Karriere habe einst in einer Jugendorganisation ihren Anfang gefunden.

Gute Stimmung in den Arbeitsgruppen: Am Donnerstag und Freitag entwarfen die Jugendlichen gemeinsame Forderungen. Zweite Reihe, Zweiter von links: Nico Reber. Foto Joëlle Schneider

Vielfältige Ansichten

Auch Max Hofstetter hat einen persönlichen Bezug zur Biodiversität und Forderungen an die Landwirtschaft: Der 15-Jährige lebt in Doppleschwand auf dem elterlichen Hof. «Woher man kommt, wo man wohnt: Das beeinflusst die politische Meinung», ist er überzeugt. Natürlich sei er auch selbst geprägt von seinem Umfeld, genauso wie andere Jugendliche, etwa jene aus den grösseren, links-grün regierten Städten, von ihrem. Darum sei es auch schwierig festzumachen, was «die Jungen» als politische Gruppe auszeichnet. Sind sie etwa radikaler als ältere? Das lasse sich nicht generell sagen, glaubt Max Hofstetter. Gabriela Gojani, 14, aus Menznau, drückt es so aus: «Wir Jungen nutzen eben unsere Fantasie.» Ihre Einstellung sei: «Wenn man vermeintlich verrückte Ideen nie ausprobiert, wie soll man denn herausfinden, ob sie funktionieren?»

Als Musterbeispiel dafür, wie sich die Jugend in die Politik einbringt, gilt die Klimastreik-Bewegung. Die Proteste bringen junge Menschen zusammen, die gemeinsame – in vieler Augen durchaus radikale – politische Forderungen stellen. Auch für die Jugendlichen der Kantonsschule Willisau bietet die Klimabewegung eine Referenz für starkes Engagement der Jungen. Selbst an Klima-Demonstrationen teilgenommen hat aber bisher niemand der sieben Schülerinnen und Schüler. Weil man «nicht der Typ dafür» ist, weil wegen Corona wenig stattfand, weil sie es zwar vorhatten, aber etwas dazwischenkam. Wie sich die Jugendlichen politisch einbringen und welche Haltungen sie vertreten wollen, bleibt für sie eine individuelle Angelegenheit. In gewissen Themenbereichen sei das Interesse der Jungen, gehört zu werden, aber besonders gross. Etwa im Klimaschutz, in der Altersvorsorge oder bei der Digitalisierung.

 

Aus Überzeugung

Ob ihre Forderungen als «radikal» bewertet werden oder nicht: Die Jugendlichen diskutieren unerschrocken und ohne Scheuklappen. Am Freitagnachmittag feilscht eine Gruppe in Räumen des Staatssekretariats für Wirtschaft um jedes Wörtchen ihrer Forderung zum Thema Dienstpflicht. Ihr Vorschlag bietet politischen Zündstoff: Der Zivilschutz soll dem Militär als eine neue Funktion einverleibt werden. Eine Forderung, welche in der Bundesversammlung kaum auf offene Ohren stossen dürfte. Doch mit diesen pragmatischen Bedenken halten sich die Jugendlichen nicht auf. Der Fokus gilt einzig der gemeinsamen Überzeugung.

 

Voneinander lernen

Sarah Boog, 17, aus Kottwil, unterstützt die Forderung ihrer Arbeitsgruppe Dienstpflicht voll und ganz. Dass sie eines Tages umgesetzt wird, bezweifelt sie zwar. Doch ihr Ziel sei ein simpleres: «Die Politik soll die Anliegen der Jugend wahrnehmen.» Denn: «Ich bin überzeugt: Ältere und Jüngere können voneinander lernen – wenn sie einander zuhören.»

Die im Plenum verabschiedeten Forderungen der Jugendsession müssen an einer Sitzung der zuständigen parlamentarischen Kommissionen behandelt werden. Zu weiteren Schritten sind die Mitglieder der Bundesversammlung nicht verpflichtet.

In die Rolle einer Parlamentarierin, eines Parlamentariers konnten sich die 200 Jugendlichen schliesslich im Bundeshaus einfühlen. Im Nationalratssaal machten sie es sich am Wochenende auf den Sesseln der «Grossen» bequem. Ein Highlight – auch für die Teilnehmenden der Kantonsschule Willisau.

An eine aktive Rolle in der Politik könnten die Sieben sich gewöhnen. Schliesslich liege in den Händen der Jugend die Zukunft – und ein Stück weit auch die Gegenwart. David Imfeld sagt: «Wir sind uns den Problemen auf der Welt stärker bewusst als andere Generationen.» Und Jasmin Wicki ergänzt: «Das Lösen dieser Probleme wollen wir nicht einfach den Älteren überlassen.»

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