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(Nicht nur) ein grosser Spass

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Das gilt auch für Kurt Bucher und Stephan Hodel. Der Clown und der Komponist bringen ein gemeinsames Programm auf die Bühne. Klamauk und klassische Musik: Wie passt das zusammen?

Kurz vor dem Auftritt schlüpfen sie in ihre Rollen: Stephan Hodel (links), als Dirigent Etienne, und Kurt Bucher, als Clown Jeanloup, im Treppenhaus, das auf die Bühne des Luzerner Saals im KKL führt. Foto Ramon Juchli
Ramon Juchli

Zwei Welten prallen aufeinander: Ein Clown und ein Komponist und Dirigent für klassische Musik teilen sich in «Der Orchesterclown» eine Bühne. Die Protagonisten Kurt Bucher, als Clown Jeanloup, und Stephan Hodel, als Dirigent Etienne, verstehen sich bestens. Vor ihrem Auftritt im KKL am Sonntagnachmittag sagen sie: «Damit die Aufführung für die Kinder funktioniert, haben wir die Figuren überzeichnet.» Der Dirigent versucht die Aufführung zu kontrollieren, während der Clown seine eigenen Pläne für das Konzert in die Tat umsetzt. Der Gegensatz zwischen dem missmutigen Musiker und dem chaotischen Clown sorgt für grosses Vergnügen. Und es zeigt sich: Dahinter steckt mehr als blosses Rollenspiel.

Wie im falschen Film gefühlt

«Manchmal hinterfrage ich mich schon», erzählt Kurt Bucher vor der Aufführung. «Jetzt bin ich doch schon bald 40 – und treibe immer noch meinen Schabernack auf der Bühne.» Doch für einmal tut dies der gebürtige Schötzer in ungewohnter Umgebung.

Ohren zu und durch: Dirigent Stephan Hodel (rechts), alias Etienne, und Kurt Bucher, alias Jeanloup geben im gemeinsamen Programm «Orchesterclown» zwei komödiantische Gegenspieler.  Foto Marco Hartmann

Vorhang auf: Dirigent Stephan Hodel hebt seinen Stab, die 30 Musikerinnen und Musiker der Kammerphilharmonie Graubünden spielen die Stücke des gebürtigen Grosswangers. Einige Meter neben Hodel sitzt Jeanloup. Doch der Clown hält es nicht aus am Rande der Bühne. Er tänzelt hin und her, die Locken wippen im Takt. Um seinen Hals hängt ein Bauchladen voller Küchenutensilien, die er nach Lust und Laune zum Klingen bringt. Währenddessen spielen die Orchestermitglieder mit ernster Miene und Virtuosität ihre Instrumente.

«Blicke ich auf das Orchester vor mir, fühle ich mich im falschen Film», sagt Kurt Bucher. «Aber blicke ich ins Publikum, weiss ich wieder, warum ich so gerne mit diesen Musikerinnen und Musikern auf der Bühne stehe.»

Tatsächlich: Das Publikum springt auf Musik und Humor gleichermassen an. Nach einigen Minuten Aufwärmphase gibt es im Luzerner Saal am Sonntagnachmittag kein Halten mehr.

Neues Publikum angesprochen

«Wenn das Publikum mit der Musik mitgeht und darauf reagiert: Das ist das Schönste an den Auftritten», sagt Stephan Hodel. Dies erleben zu dürfen ist für ihn doppelt ungewohnt. Einerseits steht er als hauptberuflicher Komponist nur noch selten auf der Bühne. Andererseits hält sich das Publikum seiner Konzerte normalerweise eher zurück mit lautstarken Reaktionen. Das ist in «Orchesterclown» anders. Vom Vorschulkind bis zu dessen Grosseltern: Alle klatschen, lachen, jauchzen mit. Die Co-Produktion des Clowns und des Komponisten spricht Leute an, die das KKL-Programm sonst nicht erreicht. Und schöpft damit ungenutztes Potenzial aus: Gegen 500 Plätze im Luzerner Saal waren bereits seit Monaten ausverkauft. Ein Stück wie «Orchesterclown» kann den Nachwuchs in der klassischen Musik fördern, glaubt Stephan Hodel. «Wenn Kinder bereits ein Orchester gehört haben, kommen sie als Erwachsene eher wieder an ein Konzert.» Ein jüngeres Publikum «anzufixen» sei schön, jedoch nicht das Hauptziel. «Zu allererst muss es uns selbst Spass machen.»

Natürlich darf ich nicht Instrumente kaputt machen. Aber ich kann mein eigenes spielen: die Pfannendeckel!
Kurt Bucher alias Jeanloup

Die Narrenfreiheit genutzt

Das sieht auch Kurt Bucher so. Als Jeanloup ist es vor allem seine Aufgabe, diesen Spass zu vermitteln. Nachdem Stephan Hodel die Musik für das Programm komponiert hatte, fügten sie diese mit Jeanloups Gags zusammen. Kurt Bucher freut sich sichtlich, die Rolle als Jeanloup in diesem Umfeld einzunehmen. «Als Clown in einem Orchester bin ich wie ein Kind in der Erwachsenenwelt: Ich kenne die geltenden Regeln nicht und mache darum ständig alles falsch.» Darin erkenne sich das junge Publikum wieder. Als Jeanloup fragt sich Bucher auf der Bühne: Wie weit darf man seine Spässe mit einem Orchester treiben? Zum Beispiel: «Natürlich darf ich nicht Instrumente kaputt machen. Aber ich kann mein eigenes spielen: die Pfannendeckel!» Diese Narrenfreiheit weiss Jeanloup auszunutzen. Ohne dabei den geregelten Ablauf des Stücks zu gefährden: «Das Timing der Gags mit der Musik muss stimmen.» Eine Herausforderung – auch für den Dirigenten. «Es ist Kurts Rolle, mich auf der Bühne abzulenken und zu nerven», sagt Stephan Hodel. Und obwohl die Abläufe einstudiert sind: «Zwischendurch gelingt ihm das wirklich!» So findet das Stück die Balance zwischen frisch-fröhlich und genau getaktet.

Was Clown Jeanloup (rechts) hier wohl wieder verbrochen hat? Vom Dirigenten Etienne gibt es in dieser Szene eine Schelte. Foto Kammerphilharmonie Graubünden

Das Interesse geweckt

Zwei Jahre lang haben Hodel und Bucher an «Orchesterclown» getüftelt, bis sie es an Muttertag 2021 in Chur uraufgeführt haben. Die Corona-Pandemie verschaffte Stephan Hodel unverhofft Zeit, um sich der Komposition zu widmen. «Dabei war mir wichtig, eine breite Palette an Stilen abzudecken.» Von Barock über Romantik bis zu Swing oder Rock: Alles ist dabei. Eine Herausforderung sei es gewesen, ein Orchester zu finden, das diese Musik spielen möchte. Die Vorstellung davon, wie ein klassisches Konzert zu klingen habe, sei in der Szene teils eng. Doch die bisher drei Aufführungen mit der Kammerphilharmonie Graubünden sorgten für grossen Andrang und weckten so das Interesse weiterer Veranstaltungshäuser und Orchester. Wie es weitergeht mit dem Programm sei jedoch noch nicht klar. Zumal professionelle Ensembles ihre Engagements gut ein bis zwei Jahre im Voraus planen. Nächste Aufführungen haben Stephan Hodel und Kurt Bucher deshalb noch nicht angekündigt.

Wenn jemand anders ist und scheinbar nicht in eine Gruppe passt, bringt es allen etwas, aufeinander zuzugehen.
Stephan Hodel alias Etienne

Das Ziel erreicht

Was bleibt von diesem Sonntagnachmittag im KKL? Den einen wohl ein Ziehen im Bauch vom vielen Lachen. Den anderen vielleicht eine neu gewonnene Wertschätzung für die klassische Musik. Dritten womöglich sogar beides. Damit hätten Stephan Hodel und Kurt Bucher ihr Ziel erreicht: Erfolgreich zusammenzubringen, was scheinbar nicht zusammengehört. Das vermittle, gerade Kindern, auch eine tiefere Botschaft, sagt Stephan Hodel: «Wenn jemand anders ist und scheinbar nicht in eine Gruppe passt, bringt es allen etwas, aufeinander zuzugehen.» Oder wie Kurt Bucher sagt: «Es sollen alle selbst herausfinden dürfen, wie fest sie verbreiteten Vorstellungen entsprechen wollen, und wann sie etwas lieber anders machen als erwartet wird.» Die Geschichte von den Gegensätzen mag übertrieben dargestellt sein – aber sie ist eben doch aus dem Leben gegriffen. Das zeigt auch eine kurze Episode vor der Aufführung.

Alles nur gespielt?

Beim Fototermin steht der Dirigent pünktlich da. Der Frack sitzt, der Fokus liegt auf dem Konzert. Doch wo bleibt sein Bühnenpartner? Stephan Hodel informiert: Der Clown brauche noch ein paar Minuten. Sein Hosen-
knopf ist ihm abhandengekommen. Im Ernst? Ein Gag vor der Aufführung? Alles Teil der Rolle von Kurt Bucher? Mit kindlicher Freude in den Augen sagt er: «Manchmal weiss ich das auch nicht so genau...»

Der Clown und der Komponist

Kurt Bucher, geboren 1983, aufgewachsen in Schötz, ist seit 2015 als Clown Jeanloup tätig. Auf Kleinkunstbühnen, an Firmenanlässen, und gut zwei Tage in der Woche im Kinderspital in Luzern, wo Bucher heute lebt.

Stephan Hodel, geboren 1973, aufgewachsen in Grosswangen, ist Komponist für klassische Musik. Seine Stücke wurden unter anderem von den Festival Strings Luzern, in der Tonhalle Zürich oder in der «Beijing Concert Hall» in Peking aufgeführt.

Mehr zum gemeinsamen Stück «Orchesterclown» und weiteren Projekten: jeanloup.ch bzw. stephanhodel.com. pd/WB

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