Das Festival als Inspirationsquelle

Fünf Tage dauert das Jazz Festival. Doch hallen die Besuche bei manchen ein Leben lang nach. Angefixt von der Stimmung und der Musik werden Gäste zu Botschafterinnen und Botschaftern des Jazz, in der Region und darüber hinaus. Wie geben sie ihre Begeisterung weiter? Und warum ist das ihnen wichtig? Eine Spurensuche bei acht Jazzbegeisterten.

Der Schlagzeuglehrer und Musiker Thomas Reist am Jazz Festival Willisau im Jahr 2018. Foto Marcel Meier/ Jazz Festival Willisau 2018
Ramon Juchli

Wer Jazz in Luzern zum Beruf machen will, landet oftmals an der Hochschule Luzern – Musik. So wie der Willisauer Jorit Reisewitz, der dort im 2. Semester Schlagzeug studiert. An einem Sommertag nimmt er sich Zeit für ein Gespräch, nachdem er den Nachmittag damit verbracht hat, für die Semesterprüfungen zu üben. Aus dem grauen Proberaum im millionenschweren Neubau geht es hinaus auf den Kiesplatz vor dem Kulturzentrum Südpol. Die Sonne scheint, Pollen fliegen, an den Tischen erfrischen sich die Menschen mit einem gekühlten Getränk. Jorit Reisewitz bestellt eine Cola. Der 20-Jährige wuchs gleich hinter der Willisauer Festhalle auf. Seit dem Teenageralter hilft er am Festival mit. «In der Stube liefen Jazz-Platten, meine Eltern nahmen mich mit ans Festival – es lag nahe, ein Teil davon werden zu wollen», erzählt Reisewitz. In der Stadtmühle Willisau hörte er sein erstes Jazz-Konzert. Mitgenommen hatte ihn Instrumentallehrer Thomas Reist. Jahr für Jahr besucht dieser mit seiner Schlagzeugklasse Konzerte am Festival.


Neugierde wecken
«Der Besuch des Jazz Festivals gehört zu meinem Unterricht», sagt Thomas Reist. «Das ist Pflicht für meine Schülerinnen und Schüler!» Natürlich werde schlussendlich niemand gezwungen. Aber Reist liegt der Konzertbesuch am Herzen. Weshalb? «Für die jüngsten Schülerinnen und Schüler ist das ein riesiges Erlebnis: Oft ist es ihr erstes Konzert, und dann gleich in der grossen, dunklen Festhalle, mit Weltklasse-Musikerinnen und -Musikern auf der Bühne.» Das verschlage vielen Musikschulkindern erstmal die Sprache.
Der Willisauer Jonas Albrecht, heute selbst Musiker und Leiter der Musikredaktion des Radio 3FACH, erinnert sich: «Als 10-Jähriger beeindruckten mich Live-Konzerte enorm: Ein mikrofoniertes Schlagzeug, eine riesige Sound-Anlage, wie die ganze Band gemeinsam reinfährt – das habe ich bewundert.» Wie die Musik dieser ersten Konzerte geklungen hat, daran könne er sich kaum erinnern. «Das erscheint heute fast nebensächlich. Diese Musik so unmittelbar zu erfahren, das hat mich geflasht.»
Doch gefällt den meisten Schülerinnen und Schülern am Jazz Festival, was sie hören? «Natürlich gefällt es nicht allen», räumt Reist ein. Jorit Reisewitz bestätigt. «Die wenigsten waren sofort begeistert», erzählt der ehemalige Schüler. Aber der Schlagzeuglehrer hofft, damit eine Neugierde zu wecken. «Jazz ist so spannend, weil es immer Neues gibt, weil sich die Musik immer weiterentwickelt.» Die Eindringlichkeit, mit der Reist über Jazz spricht, lässt einen seine Begeisterung spüren. Diese möchte er weitergeben, in welcher Form auch immer. Denn die allerwenigsten von Reists Lernenden machten die Musik zum Beruf. Das sei auch nicht sein Ziel. «Meine Schülerinnen und Schüler sollen etwas machen, das sich fürs Leben lohnt», sagt Reist. «Am besten ein Leben mit Jazz!»

Der Besuch des Jazz Festivals ­gehört zu meinem ­Unterricht. Für die Lernenden ist das ein riesiges Erlebnis.»
Thomas Reist: 
gibt Schlagzeug- unterricht an der Musikschule Region Willisau.

Man lernt, offen zu sein
Jonas Albrechts Weg bildet also die Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Wie Reisewitz einige Jahre nach ihm, hat sich der 27-Jährige nach der Matura für das Studium an der Jazzschule in Luzern entschieden. Danach absolvierte er einen Master in Skandinavien und spielt heute Schlagzeug solo und in verschiedenen Bands. «Enorm wichtig» sei das Festival für Albrechts Werdegang gewesen. Schon früh kam er dadurch in Berührung mit experimenteller Musik. «Dank dem Jazz wurde diese Ausdrucksform alltäglich.» Das Festival biete die Gelegenheit, sich mit etwas auseinanderzusetzen, das (noch) ausserhalb der persönlichen Komfortzone liege. Dies hält Jonas Albrecht für sehr wichtig. «Man lernt, offen zu sein, zuzuhören, und vielleicht auch etwas von der Radikalität des Jazz ins eigene Leben zu übertragen.» 2019 trat er mit dem Quartett Tanche am Late Spot des Jazz Festivals auf.
Mit Amadeus Fries, Lea Fries oder Christof und Dominik Mahnig spielten in den letzten Jahren auch weitere junge Musikerinnen und Musiker in Willisau, die in der Umgebung und mit dem Jazz Festival aufgewachsen sind. Das inspiriert wiederum Jüngere wie Jorit Reisewitz. «Es ist schön, zu sehen, wie das Festival jungen Menschen aus der Region eine Bühne bietet.» Träumt auch er von einem Auftritt in der Festhalle? «Das ist sicher eine reizvolle Vorstellung.» Aber planen lasse sich sowas nicht.

«Das Festival hat mir die Tür geöffnet für eine Musik, der ich sonst wohl nicht begegnet wäre.»
Hildegard Schär:
veranstaltet im Bau 4, Altbüron, regelmässig auch Jazz-Konzerte.

Türen geöffnet
Übrigens laden am Festival nicht nur die Musikerinnen und Musiker ein, in ihre Fussstapfen zu treten. Für die Willisauer Grafikerin Mira Walthert macht auch die visuelle Gestaltung durch die Familie Troxler das Festival zu einer Inspirationsquelle. «Ich schätze sehr, dass im grafischen Auftritt des Festivals das Bühnenbild und die Lichttechnik im Konzertsaal mitgedacht werden. Alles ist aufeinander abgestimmt.» Zudem sei es für sie toll, zu sehen, «dass das Festivalplakat immer noch ein geschätztes Medium ist, um Besucherinnen und Besucher nach Willisau zu locken.»
1985 besuchte Hildegard Schär ihr erstes Jazz-Konzert in Willisau. Seit 2006 veranstaltet sie im Bau 4 in Altbüron selbst regelmässig Jazz-Konzerte. «Das Festival hat mir die Tür geöffnet für eine Musik, der ich sonst wohl nicht begegnet wäre.» Heute gebe es mehr Orte, welche diese Erfahrungen ermöglichen, jedoch nach wie vor eher in der Stadt und Umgebung. «Von daher bin ich überzeugt, dass das Festival immer noch einen grossen Einfluss auf das kulturelle Leben und Befinden in Willisau hat.» Viele Festival- und Jazz-Fans aus der Umgebung besuchten auch die Konzerte in Altbüron.
Peter Estermann, Musiker und Instrumentallehrer, sagt: «In Willisau gibt es dank dem Festival grosse Vertrautheit und Neugier in Sachen Jazz. Man schreckt nicht zurück, auch mal was Unbekanntes oder Unerhörtes zu besuchen.»
Auch für Claudia Greber, Fachlehrerin Musik an der Kanti Willisau, hat das Festival den Horizont erweitert. «Fasziniert und gleichermassen schockiert war ich, als ich erlebt habe, wie Cecil Taylor musiziert.»
Dieses Jahr arbeiten die Kantonsschule Willisau und das Jazz Festival zusammen. Ein Act wird an der Schule einen Workshop mit den Klassen des Schwerpunkt- und Wahlpflichtfachs Musik durchführen. Die Schülerinnen und Schüler können anschliessend den Soundcheck und das Konzert am Abend besuchen. Das Ziel: «Die Lernenden mit dem Musikstil und der besonderen Denkweise des Jazz vertraut zu machen», sagt Tobias Bachmann, Prorektor der Kanti Willisau. Auch ihn habe das Festival geprägt, lange Jahre war er als Helfer in der Bühnencrew mit dabei. Schon als Kind kam er am Festival in Berührung «mit speziellen Tönen und aussergewöhnlichen Menschen». Dies in einem ungezwungenen Rahmen. «Das Jazz Festival war immer auch eine Art Dorffest.»

«Man lernt offen zu sein, zuzuhören und vielleicht auch etwas von der Radikalität des Jazz ins eigene Leben zu übertragen.»
Jonas Albrecht:
leitet die Musikredaktion von Radio 3FACH und ist selbst Musiker.

Zugänglich machen
Trotz der Popularität des Anlasses – Thomas Reist betont auch: «In Willisau gibt es längst nicht nur das Jazz Festival.» Das spüre er im Unterricht. Bei Weitem nicht alle Lernenden respektive deren Eltern seien mit dem Festival vertraut. «Die vielen lokalen Vereine bieten das ganze Jahr über auch andere spannende Aktivitäten.» Deshalb müssten insbesondere Jüngere immer wieder aufs Jazz Festival «raufgelüpft» werden.
Auch Claudia Greber und Peter Estermann versuchen diese Begeisterung weiterzugeben, weisen in ihrem Unterricht auf die Konzerte am Festival hin. Einladend soll das Festival wirken, für unterschiedliche Menschen zugänglich sein, findet deshalb Jorit Reisewitz. «Auch wer einfach ein Feierabendbier trinken möchte, soll in Versuchung kommen, mal ein Konzert hören zu gehen.» Er erinnere sich gerne an einzelne Konzerte zurück, die ihn inspirierten. Welche genau? Reisewitz nimmt noch einen Schluck von seiner Cola und überlegt kurz. Dann fällt ihm der Auftritt vom Lucien Dubuis Trio ein. Er neigt den Kopf etwas vornüber und spricht leiser: «Der Drummer des Trios sitzt hier übrigens gleich am Nebentisch.» Reisewitz grinst. Dann muss er weiter, an eine OK-Sitzung. Als Teil des Vereins Aktion Kultur Willisau organisiert er mittlerweile selbst ein Festival mit.

Dieser Artikel ist bereits im Jazz Magazin erschienen.

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