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«Es war eine harte, aber letztlich gute Zeit»

Tellerwäscherkarrieren gibt es nicht nur in Amerika. Vom Hüttenbub zum Gastrokönig: Emil Blümlis Lebensgeschichte würde Bücher füllen und böte Stoff für einen Film. Der WB hat den 81-Jährigen besucht.

Stefan Calivers, Redaktor

Am 26. Januar 1998 ist er ganz oben angekommen: Emil Blümli, Spitzengastronom und Sternekoch, Fachlehrer und Experte, Jäger und Sammler, vielfach ausgezeichnet und geehrt: Mit seiner weltweit grössten Auswahl an Havanna-Zigarren – über 380 Marken – schafft er den Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Ein Wert, der bis heute unerreicht ist. Entsprechend gross ist das Medienecho. Blümlis Bekanntheitsgrad steigt stetig – weit über die Gastroszene hinaus: Ein Mann von Welt.

In Willisau geboren Begonnen hat er weit unten. Im Weiler Gunterswil in Willisau wird Emil am 21. Juni 1941 geboren. Als fünftes Kind der Küfersfamilie Leo und Adelheid Blümli--Schüpfer. Drei weitere Geschwister werden folgen. Karg und einfach ist das Leben auf engstem Raum. Samt «Boutique» – so nannte man die Küfer- und Wagnerwerkstatt damals. In den 1950er-Jahren konnte die Familie dann in die ehemalige Landwirtschaftliche Schule am Grabenweg einziehen. Davon jedoch hat Emil nur wenig erlebt. Seine Jugend verbrachte er weitgehend auf fremden Bauernhöfen. Mit elf Jahren schon musste er fort von zuhause, wie es in diesen Jahren weit verbreitet war: als «Hüttenbub» zu einem Bauern in Schötz,

In der Hölle Eigentlich war sein älterer Bruder Leo für diese Aufgabe vorgesehen. Doch als der Bauer am Ostermontag 1952 mit dem Fahrrad anrückte, weigerte sich Leo mitzugehen. Derart Angst und Schrecken flösste diese Person ihm ein. «Denn goh’n ich halt», sagte Emil spontan und trat den Weg auf den fremden Hof an. Die düsteren Vorahnungen seines Bruders sollen ihn aber schnell einholen. «Miserabel» habe er es getroffen, sagt Emil und wird nachdenklich. Er spricht nicht gerne über diese dunkle Zeit. Peitschenhiebe waren an der Tagesordnung. Arbeiten bis zum Umfallen. Hartes Brot essen, kniend auf einem Holzscheit im Schweinestall. Demütigungen noch und noch. Zweimal riss Emil aus, kehrte aber aus Pflichtbewusstsein wieder zu seinen Peinigern zurück. Groll gegen seine Eltern hegt er keinen: «Das war einfach so, damals.» Die ärmlichen Verhältnisse – vier Kinder in zwei Betten in einem kleinen Zimmer – liessen den Eltern keine Wahl. Immerhin konnte er nach diesem schlimmen Jahr den Schötzer Hof verlassen und zu einer Bauernfamilie in Willisau ziehen, wo er die nächsten fünf Jahre sehr gut aufgehoben war. Extrem harte Arbeit auch hier, doch die scheute Emil nicht. Denn er wurde neben dem einzigen Mädchen der Bauersleute wie ihr eigenes Kind behandelt und fühlte sich «richtig daheim».

Der verhinderte Pfarrer Nach der Schulzeit war Emil sich über seine Berufswahl nicht schlüssig. Es war Usus damals in Grossfamilien, dass eines der Kinder in ein Kloster eintrat oder Priester wurde. Und ausgerechnet er war als Pfarrer vorgesehen. Doch wieder nahm sein Schicksal eine andere Wendung: Diesmal war es die ältere Schwester, die seinem Lebenslauf eine neue Richtung gab, indem sie sich für das Klosterleben entschied.

Rösti und Spiegeleier Über eine Anzeige des Jugendamtes Olten fand Emil Blümli den Weg in ein Institut nahe Lille in Nordfrankreich – gemeinsam mit vier weiteren Zöglingen aus der Schweiz. Emil fand schnell Kontakt zum Küchenchef des Instituts, einem ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen, und interessierte sich für seine Arbeit. «Koch doch für deine Kollegen einmal ein Gericht aus deiner Heimat», forderte ihn sein neuer Freund auf. Was Emil gehörig in Verlegenheit brachte, denn Kochen war selbstverständlich das Metier seiner beiden älteren Schwestern. So schrieb er seiner Mutter und bat sie um ein Rezept für Rösti und Spiegeleier. Niemals hätte Emil sich vorstellen können, dass dieses einfache Menü zur Grundlage einer steilen Berufskarriere werden sollte. Denn schnell fand er Gefallen an dieser Arbeit und entschloss sich, Koch zu werden.

Auf dem Weg nach oben Seine Lehre konnte Emil Blümli im renommierten Hotel Krone bzw. «La Couronne» in Solothurn absolvieren. Nicht zuletzt wegen seiner frisch erworbenen Französischkenntnisse, denn Französisch war damals die eigentliche Küchensprache. Eine neue Welt tat sich auf beim Vorstellungsgespräch als Emil, begleitet von seinen Eltern und dem ältesten Bruder, vom Patron zum Nachtessen in der vornehmen Napoleon-Stube eingeladen wurde. Aber der frankophile Jüngling fühlte sich bald heimisch in der neuen Umgebung und avancierte zum «Liebling des Chefs», der ihn stark förderte. Die Freude an der Arbeit wuchs. Jetzt war Emil definitiv überzeugt, den richtigen Beruf gewählt zu haben. Den Lehrabschluss meisterte er 1961 mit der Bestnote von 1.0! Was dann folgte, waren 50 Berufsjahre mit unzähligen Höhen, aber auch gelegentlichen Rückschlägen (siehe Kasten).

Heimkehr Seit zwölf Jahren lebt der inzwischen 81-jährige Emil Blümli mit seiner Frau Alice zurückgezogen in Gondiswil und damit wieder in der engeren Umgebung seiner Heimat. «Willisau hat noch immer einen speziellen Stellenwert für mich.» Er ist oft im Städtchen anzutreffen, erledigt die meisten Einkäufe dort oder trifft sich mit Freunden zu einem Jass. Auch das Kochen lässt ihn nicht ganz los. Mit seinen Berufskollegen Erwin Gluderer und Pius Kneubühler zaubert er bei kleinen Banketten immer noch Meisterliches auf den Tisch. «Die Zeit als Bub in Willisau hat mich geprägt», blickt Blümli zurück. «Eine harte, aber letztlich gute Zeit», sagt er versöhnlich. Er ist an den schlimmen Erlebnissen als Verdingbub nicht zerbrochen – alles andere als selbstverständlich. Dass er, der mit nichts begonnen hat, so viel in seinem Leben erreicht hat, erfüllt Emil Blümli mit Dankbarkeit und Genugtuung. Seine Zufriedenheit ist spürbar, wenn er – genüsslich an einer Havanna ziehend – in den Erinnerungen kramt. Sein Blick ins Weite verrät: Es gäbe noch viel zu erzählen.

«Die meisten Havannas habe ich in Kanada entdeckt»

 

«Palace» in Gstaad und Luzern, «Kreuz» Balsthal, «Storchen» Solothurn, «Krone» Aarberg, «Kreuz» Kriegstetten, «Chämihütte» Untersiggenthal, «Spatz» Grenchen und dann 40 Jahre im «Krebs» ebendort: Emil Blümlis Stationen als Koch, Küchenchef, Chef de Partie und Hotelier waren allesamt renommierte Häuser und Feinschmeckerlokale. Auszeichnungen noch und noch schmücken sein Palmarès. Der Gildenkoch arbeitete mit Meistern wie Anton Mosimann und Horst Petermann zusammen. Als «Kulinarischer Philosoph» wurde er betitelt oder als «Tausendsassa in Küche und Keller».

 

 

 

Der Gastgeber

 

Emil Blümlis Erfolgsgeheimnis? «Der Gast hat immer recht – auch wenn er nicht recht hat». Die Gäste ernst nehmen, sie wertschätzen und ihnen zuhören: Das sind laut Blümli die Tugenden eines guten Gastgebers. «Emilio», wie er von seinen Freunden genannt wird, und seine Frau Alice verstanden dies meisterhaft. Auf ihrer Gästeliste standen Prominente vom Kaliber eines Pierre Brice, Franz Josef Strauss oder Zino Davidoff. «Derrick»-Kommissar Horst Tappert samt Assistent Harry (Fritz Wepper) schauten ebenso vorbei wie Karin Baal, Joachim Kulenkampff und Kurt Aeschbacher.

 

Auch Sportgrössen fehlten nicht: Radlegende Ferdy Kübler, der legendäre Fussballtrainer Tschik Cajkovski oder die Springreiter Markus Fuchs und Willi Melliger. Fussball (Vizepräsident FC Grenchen) und der Reitsport (Besitzer von Melligers Spitzenpferd «Rhonas Boy) gehörten wie Curling zu den Leidenschaften von Emil Blümli. Weiter beehrten ihn unzählige -Honorablen aus Wirtschaft und Politik – weit über den Kanton Solothurn hinaus. Eine spezielle Beziehung pflegt Blümli seit Jahrzehnten mit alt Bundesrat Adolf Ogi. Die Widmung des damaligen Bundespräsidenten zum Buch «Dölf hat gesagt...» bedeutet ihm viel: «Für Emilio und Alice. Vielen Dank für die Begleitung durch das Leben!»

 

 

 

Der Ausbildner

 

Selber breit ausgebildet, war es Emil Blümli immer ein zentrales Anliegen, sein Wissen und seine Erfahrung weiterzugeben. Er unterrichtete fast 20 Jahre lang an der Gewerbeschule Solothurn und leitete die Einführungskurse für Kochlehrlinge. Er war Mitglied und später Präsident der Fachkommission für Berufsbildung im Gastgewerbe, amtete über 20 Jahre als Service- und mehr als 30 Jahre als Kochexperte. An der Sommelier-Fachschule in Zürich lehrte er als Dozent. Daneben hat er viele Fachausstellungen organisiert.

 

 

 

Der Jäger und Sammler

 

Blümlis grösste Passion ist das Jagen. Vorwiegend in seinem Revier im Elsass. Aber er war auf der halben Welt unterwegs als Jäger. Aber nicht als Trophäensammler, das ist ihm wichtig. «Ich hatte nie das Ziel, die sogenannten Big Five (Elefant, Büffel, Nashorn, Tiger und Löwe) zu schiessen.» Für ihn gehe es um das Naturerlebnis, das Beobachten, die Stille und die Einsamkeit. «Die Jagd hat mir grossartige Erlebnisse beschert.»

 

Als «Sammler» wird Emil Blümli weniger gern bezeichnet. Pilze, Weine oder Zigarren: Sammeln ist für ihn kein Selbstzweck. «Das habe ich in erster Linie für meine Gäste getan.» Jagd, Wein, Zigarren: Sie waren Blümlis Antrieb für Reisen in alle Welt. So hat er die meisten seiner Havanna-Zigarren nicht in Kuba, sondern in Kanada entdeckt. Weniger bekannt ist Blümlis Affinität zur Kunst. In seiner Schatztruhe lagern Meisterwerke von Hans Erni, Jean Tinguely, HR Giger, Corpaato, Honoré Daumier und vielen anderen Künstlern. Sogar ein Werk von Claude Monet ziert seine Sammlung. Gelegentlich hat er auch Ausstellungen organisiert.

 

 

 

Der Pensionär

 

«Ich durfte schöne Zeiten erleben», bilanziert Blümli, verschweigt aber private und geschäftliche Rückschläge nicht. Sein Lebenswerk, den «Krebs» in Grenchen, hat er 2009 verkauft. Die Verpachtung zuvor bezeichnet er als schweren Fehler. Er hatte sich schlicht in der Person des Pächters geirrt, war zu gutgläubig. Hadern mag er deswegen nicht. Vielmehr geniesst er seinen Lebensabend in der ländlichen Umgebung von Gondiswil mit seiner Frau Alice. «Sie war und ist die grosse Stütze meines Lebens.»        ca.

 


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1 Kommentar(e)

  • Kneubühler Pius 01.01.1970,01:00
    Sehr guter Bericht…

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