Er hat einen Schweinestall im Keller
Chirbelmatte 6, Willisau. Kaum die Klingel des Familienhauses gedrückt, wird die Tür schwungvoll geöffnet. Paul Bättig strahlt über das ganze Gesicht. Der 71-Jährige fackelt nicht lange: «Ab i Soustall», sagt er und nimmt die Treppe in den Keller in Angriff.
Der Münz-Schlitz ist ein Muss
Sorgfältig poliert stehen sie in Reih und Glied in den raumhohen Regalen: Rund 380 Sparsäuli füllen den ganzen Kellerraum aus. Gross, klein, mager, fett, kunterbunt, einfarbig, mit Elvis-Tolle oder Blümchenkleid: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Doch wie unterschiedlich sie auch sein mögen, sie alle haben ihre Gemeinsamkeiten: «Es sind alles Schweine aus Porzellan oder Keramik, die irgendwo einen Münz-Schlitz haben.» Ohne geht es nicht: «Sonst ist es ja kein Sparsäuli mehr!», sagt Paul Bättig. Regeln sind Regeln – auch wenn der Rentner seinen Lebtag nie auch nur einen Franken in ein solches Schweinchen gelassen hat. «Das wäre mir eine zu unsichere Methode, um Geld aufzubewahren», sagt er und lacht. «Diese Prachtsstücke sind nur etwas für das Auge – und für mein Sammlerherz.»
Zum Geburtstag ein Schwein
Zu schlagen begann besagtes Sammlerherz erstmals vor rund 40 Jahren. Damals bekam er von seinem Bruder sieben Sparsäuli geschenkt. «Seither sind immer mehr und mehr dazugekommen.» Viel Geld hat er für sein Sammlerhobby nie ausgegeben. «Die meisten habe ich geschenkt bekommen.»
Paul Bättig hebt ein grosses Säuli mit einer roten Schleife um den Hals in die Höhe (siehe grosses Foto). «Das ist mein neustes Exemplar.» Er hat es von seinem Sohn zum diesjährigen Geburtstag bekommen. Behutsam stellt er es wieder zu den schweinischen Kumpanen ins Gestell, um ein kleineres Modell hervorzuholen. «Das ist mein Lieblingssäuli – ein Geschenk meiner Frau.» Namen gibt Bättig den Schweinchen nicht, jedoch hat er sie in den Regalen nach Edition oder Thema eingeordnet.
Mögliche Ausstellung vom Flaschensepp
Am liebsten zeigt Paul Bättig seine Sammlung Kindern. «Es ist schön, zu beobachten, wie ihre Augen zu leuchten beginnen, wenn sie den besonderen Raum betreten.» Ansonsten sei sein «Schweinestall im Keller» nicht vielen Leuten bekannt. Noch nicht. «Irgendwann in der Zukunft will der Flaschensepp mal noch eine Ausstellung organisieren, bei der ich einen Teil meiner Sparschweinchen beisteuern werde», so Bättig. Das müsse aber nicht unbedingt sein: «Ich sammle nicht, um irgendwie bekannt zu werden.» Sondern? «Weil mir die Säuli Glück bringen!»
Seit er nämlich mit dem Sammeln begonnen habe, sei ihm viel Gutes widerfahren. «Eine liebe Frau, gesunde Kinder, ein schönes Haus, einen eigenen Soustall – was will man denn noch mehr?»
Chantal Bossard
«Da hab ich Schwein gehabt»
Haben Sie im Leben auch schon richtig Schwein gehabt?», fragt die Reporterin Paul Bättig beim Interview. «Oh ja», antwortet dieser. «Ohne guten Schutzengel wäre ich schon längst tot.» Kurz darauf hält er einen laminierten Zeitungsbericht mit dem Titel «Folgenschwere Explosion in Willisau-Stadt» in den Händen.
Paul Bättig liest vor: «Am letzten Dienstagnachmittag, circa um 14.30 Uhr, erschütterte ein heftiger Knall das Gebiet im unteren Städtchen Willisau. Ihm folgte eine Druckwelle, verbunden mit Krachen von stürzenden Mauern und dem Klirren von zerborstenden Fensterscheiben. Es musste sich um eine Explosion handeln. Der Ursache nachspürend stiess man auf ein erschütterndes Bild. Das Haus der Schmiede- und Schlosserwerkstatt Riechsteiner beim Grabenweg bot ein entsetzlicher Anblick. Aus den Hausfronten klafften grosse Löcher, am Boden ein wirres Durcheinander von Stein, Holz und Eisen, Strassen und Platz übersät mit Scheibensplittern. Die Frage galt nach den Menschen. Soeben hatte man jemand russgeschwärzt und schwerverletzt ins Sanitätsauto verladen.»
Hier stockt Bättig, schaut über den Rand des Artikels und bestätigt: «Ja, das war ich.» Paul Bättig, 19-einhalbjährig, war damals in Ausbildung zum Schmied, zwei Monate vor der Abschlussprüfung, als es seinen Arbeitsplatz wortwörtlich in die Luft jagte. Die Ursache der Explosion wird im Zeitungsbericht aufgeführt: Das Schiesspulver für den Fronleichnamstag, welches die Herrgottsgrenadiere in der Schmiede lagerten. «Ich ging ganz normal meiner Arbeit nach, als mir plötzlich alles um die Ohren flog.» Paul Bättig hatte Glück – «Schwein» – im Unglück: Er überlebte. «Sogar ohne was gebrochen zu haben.» Jedoch ganz und gar nicht ohne Folgeschäden: Die Verbrennungen, die er sich zugezogen hatte, sind dank Hauttransplantationen mittlerweile zwar kaum mehr sichtbar. Doch noch immer hört er auf dem einen Ohr nichts und ist auf einem Auge komplett blind. «Wieder als Schmied zu arbeiten, konnte ich komplett vergessen.» So arbeitete er nach einigen Abstechern schlussendlich gut 40 Jahre bei der Stewo-Papierwarenfabrik in Wolhusen. «Verbittert bin ich wegen dem Explosionsvorfall nicht. Was passiert ist, ist passiert. Ich habe das Beste daraus gemacht.» bos
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