Die Töfffahrer von der Ferne gesegnet
Schon von Weitem hätte man sie gehört, knatternd, ratternd, wären sie von allen Richtungen anzufahren gekommen, in Lederkluft und Allzweckkleidung, Männer und Frauen, mit kleinen und grossen Maschinen, bei schönem und schlechtem Wetter, zum offiziellen Start in die Motorradsaison: der Töffsegnung in Altishofen. Doch nächsten Sonntag bleibt es ruhig in der Wiggertaler Gemeinde. Die Töfffahrerinnen und Töfffahrer werden sich dieses Jahr nicht zu Tausenden vor der Altishofer Pfarrkirche versammeln, um den Worten von Diakon Roger Seuret zu lauschen und sich segnen zu lassen. Gottes Segen für eine unfallfreie Saison erhalten sie trotzdem: in Form einer Videobotschaft auf Youtube.
Gottesdienst über den Bildschirm
Bevor der speditive digitale Gottesdienst beginnt, hält Kurt Kurmann (59) als OK-Chef des Anlasses das Begrüssungswort, so wie er es auch bei einer Töffsegnung in Altishofen vor Ort jeweils zu tun pflegt: kurz und knackig. Der Willisauer steht nicht gern im Rampenlicht, arbeitet lieber im Hintergrund. Seit 22 Jahren ist er Präsident des Motoclubs Linde Daiwil, seit 22 Jahren organisiert er unentgeltlich die Töffsegnung in Altishofen – zusammen mit seiner Frau und den gut 30 anderen Clubmitgliedern. Aber wie ist es dazu gekommen? «Darum ranken sich so einige Geschichten», sagt Kurmann und lacht. Die gängigste Version: Ein Mitglied hatte Töffsegnungen in den USA erlebt und tat sich vor 35 Jahren mit dem damaligen Pfarrer, dem humorigen Pius Sieber, zusammen.
Töfffahrer als Aussenseiter
Es entwickelte sich eine der heute ältesten – «wenn nicht die älteste» – Töffsegnung in der Schweiz. Die beiden ersten Jahre fand sie noch in Werthenstein statt, seither ununterbrochen jeweils am ersten Maisonntag in Altishofen. «Zu diesen Zeiten galten wir Töfffahrer noch als Rowdies, wir waren Aussenseiter – diese Gottesdienste, extra für unsere Gemeinschaft geschaffen, waren ein Zeichen der Akzeptanz.» Andere Zeiten, andere Ansichten. Und doch ist, Jahr für Jahr, die Töffsegnung beständig geblieben. Zum Erfolg trage massgeblich bei, dass alle zusammenhelfen: der Töffclub Linde Daiwil, die Gemeinde und die Pfarrei Altishofen. «Es ist logisch: Wäre niemand bereit, den Gottesdienst zu leiten, so könnten wir diesen Anlass nicht durchführen.» Auf Pfarrer Pius Sieber folgte Armin M. Betschart und heute ist es Diakon und Gemeindeleiter Roger Seuret-Emch, der seit neun Jahren die Töffsegnung vollzieht.
«S Härz hed chli schnöuer böbberlet»
2012. Erstes Maiwochenende. Töffsegnung. Als Roger Seuret vor das Mikrofon tritt, welches wie immer auf einem provisorischen Altar vor der Kirche installiert wurde und in die erwartungsvollen Augen von Männern und Frauen in Lederkluft blickt, da schlägt ihm das Herz etwas höher als sonst. Oder wie er es ausdrückt: «Jo, do heds Härz scho chli schnöuer böbberlet.» Gleich von Anfang an habe er klar gemacht, dass er selbst kein Töfffahrer sei. Und es auch nicht vorhabe – «das ist für alle besser so.» Nichtsdestotrotz ist er heute mehr als akzeptiert bei den Töffahrern – vergangenen Dezember wurden er und seine Frau sogar zu einem Adventsabend beim Töffclub Linde Daiwil eingeladen. «Ein schönes Zeichen der Wertschätzung», wie er findet. Der Diakon findet die richtigen Worte vor dem doch eher ungewohnten Publikum. «Klar, ich halte keine gewöhnlichen Gottesdienste ab – ich bereite meine Worte speziell für die Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer vor.» Und das kommt gut an. So erzählt er von einer Begegnung bei Bier und Wurst nach dem Gottesdienst mit einem Elektroingenieur: «Er sagte mir, er habe mit der Kirche eigentlich nicht viel am Hut – aber er würde keine einzige Töffsegnung auslassen wollen, er schätze den Anlass sehr.» So geht es auch Seuret: Anstelle des Herzklopfens ist Vorfreude getreten. Vorfreude auf einen ganz besonderen Gottesdienst: Mitglieder des Töffclubs übernehmen Lesung und Fürbitten, die Feldmusik Altishofen lockert zwischendurch mit «fätziger» Musik auf, open air und das alles ohne kommerziell zu sein. Die Spenden – manchmal Tausende Franken – die gesammelt werden, gehen an das Schwerstbehinderten-Heim «WG Fluematt» in Dagmersellen. Im Anschluss an den halbstündigen Gottesdienst gibt es Bier und Wurst.
Die Motoladies aus Pfaffnau, der Vespaclub Zell oder die treuen Motorrad-Freunde aus Grosswangen. Roger Seuret: «Ich freue mich immer auf die schönen Begegnungen.»
Das Miteinander der Töfffahrer
Begegnungen unter Gleichgesinnten, wie Kurt Kurmann betont. Das sei es auch, was für ihn den Anlass so wichtig mache: dieser Zusammenhalt, das Miteinander der Töfffahrer. Das zeichne nicht nur den Anlass selbst aus, sondern grundsätzlich das Motorradfahren. Und dann kommt noch der Glaubensaspekt dazu: «Zum einen vereint uns das christliche Gedankengut, zum anderen hoffen wir auf eine unfallfreie Saison mit Gottes Begleitung.»
Die Idee eines Videos statt einer Segnung vor Ort
Und den Segen dazu, den soll es auch dieses Jahr geben – Corona hin oder her: «Manches ist dieses Jahr etwas anders. Corona hat unseren Alltag und unser Leben verändert. So können wir dieses Jahr auch die 37. Töffsegnung nicht im gewohnten Rahmen abhalten. Deshalb haben wir diesen Weg gewählt, um die Tradition, aber auch die Verbundenheit mit euch pflegen zu können», sagt Roger Seuret. Er blickt dabei statt in die Gesichter der Motorradfahrer in eine Videokamera. «Es ist schon etwas eigenartig, in dieser leeren Kirche zu stehen. Aber ich stelle mir jetzt einfach vor, wie es jeweils ist: Wie ihr da draussen auf der Kirchenmauer sitzt oder auf der Strasse steht, die Kinder, die am Boden sitzen und die vielen Töff bestaunen, ihr, wie ihr euch in Gruppen miteinander austauscht und lacht. Die Musik, die spielt, alte Bekannte, die man trifft, Töfffahrer von nah und fern.» Roger Seuret gibt ihnen den Segen für die kommende Saison über den Bildschirm.
«Wir vom Töffclub haben uns gesagt: Wir wollen uns die Töffsegnung nicht entgehen lassen. Und als dann Roger Seuret mit der Idee einer Videobotschaft auf uns zukam, da waren wir sofort Feuer und Flamme», sagt Kurt Kurmann. Zusammengeschnitten hat diese seine Tochter Rahel Kurmann. Sie hat auch den Kleber gestaltet, der eigentlich wie jedes Jahr den Motorradkollegen verteilt worden wäre. «Dieser liegt nun in der Altishofer Kirche zum Abholen bereit», so Kurmann.
Wohlbehalten zu Hause ankommen
Das Video, welches man unter dem Titel «Töffsegnung Altishofen 2020» im Youtube findet, geht 10 Minuten. «Gott wir bitten dich: Segne alle Motorradfahrer und Motorradfahrerinnen, die jetzt zuschauen und auch jede Maschine. Beschütze sie und ihre Familie vor Unglück, Schaden und Krankheit. Lass sie Freude haben am Fahren, erhalt ihnen aber auch immer die nötige Übersicht. Bewahre sie vor Unachtsamkeit von Lastwagenfahrern und Autofahrern. Schenk ihnen die nötige Geistesgegenwart, Coolness und auch das nötige Geschick, in gefährlichen Verkehrssituationen richtig zu reagieren. Lass sie immer wohlbehalten zu Hause ankommen», sagt Roger Seuret am Ende des Videos.
Und was ist Kurt Kurmanns letztes Wort an die Motorrad-Gemeinschaft? Er lacht. «Etwas, das für Töfffahrer immer gilt – aber in der jetzigen Situation wohl besonders: Lueged vorwärts!»
Chantal Bossard
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