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Abschaffung der Noten

Kimon Blos

Der Schule werden aktuell viele Entwicklungsbaustellen vorgeworfen. Doch sollte uns diese im Angesicht einer schnelllebigen Welt, in der sich dynamische Gesellschaften dem permanenten Wandel anzupassen haben, als Notwendigkeit nicht eher beruhigen? Eine dieser möglichen Anpassungen an veränderte Bedingungen wäre die Abschaffung der Noten, die hier im Forum der Leserbriefe bisher ausnahmslos negativ kommentiert wurde. Demnach geraten die Leistungsfähigkeit und der Wirtschaftsstandort in Gefahr. Irritierend auch die exklusive Einstellung, es bräuchte explizit keine Fachexpertisendiskussion, da nur die Abschaffung Probleme generiete, die bei einem Verzicht nicht entstünden. Wachsender Schulabsentismus und zunehmender Rückgang der psychischen Gesundheit bei unseren Schülerinnen und Schülern sollten problematisch genug sein, sich dem Thema seriös zu nähern. Greifen wir mit der Eigenmotivation und der Beziehung zur Lehrperson beispielhaft zwei wesentliche Faktoren schulischen Lernerfolgs heraus, so bewirken – im Übrigen nicht nur schlechte – Noten den Verlust jener Eigenmotivation und die emotionale Abwendung von der Lehrperson. Diese aber wird tatsächlich zerrieben zwischen dem Anspruch an ein ganzheitliches Beurteilen und Fördern, integrativem Unterricht, dem geforderten Berichtswesen, in dem Kreativität, Begeisterung und Bemühen wertgeschätzt werden soll, von dem zuletzt aber lediglich eine (womöglich nicht ausreichende) Note übrigbleibt. Konnte sich die Gesellschaft in der Vergangenheit noch leisten, einen gewissen Anteil eines Schüler:innen-Jahrgangs an Desinteresse und Verweigerung zu verlieren, da die Nachfrage potenzielle Jobangebote deckte und auch Ungelernte ihr Auskommen in einfachen Tätigkeiten finden konnten, so fordern Gegenwart und absehbare Zukunft zunehmend dramatisch, dass sich möglichst alle Heranwachsenden qualifizieren und in den Arbeitsprozess integrieren. Nur davon profitierte der Wirtschaftsstandort, denn immer weniger Menschen sollen im mehr leisten. Dies gelingt, wenn überhaupt, nur dann nachhaltig, wenn Leistung innerem Antrieb und nicht äusserer Repression entspringt. Im Verständnis psychosozialer Motivationszusammenhänge liessen sich auch vermeintlich linke oder rechte politische Anschauungen überwinden. So wäre ein möglichst breiter gesellschaftlicher Konsens zur Schulentwicklung im Sinne unserer Lehrpersonen wie den Schülerinnen und Schülern wünschenswert, die beidseitig unter der aktuell unaufgelösten Diskrepanz zwischen qualitativ-individualisierter Begleitung und quantitativ-normierter Bewertung leiden.


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