Das Grossprojekt auf 200'000 Quadratmetern

Die Firma Swisspor will in Mehlsecken auf einer Fläche von 20 Hektaren ein Produktionswerk errichten, um mineralische Dämmstoffe herzustellen. Später sollen auf der restlichen Fläche weitere Firmen aus der Gebäude- und Umwelttechnologie angesiedelt werden. Für das ganze Areal wird von bis zu 1000 Arbeitsplätzen ausgegangen.

In Mehlsecken, zwischen der Autobahn und dem Huebbach, soll ein Kompetenzzentrum für klimaneutrale Gebäudehüllen errichtet werden. Der Kanton schätzt die Wertschöpfung auf jährlich 40 bis 80 Millionen Franken. Foto Stefan Bossart
Stephan Weber

Honrich Sempach, Schweissmatt Inwil oder Mehlsecken Reiden: Sie alle sind sogenannt strategische Arbeitsgebiete (SAG), welche der Kanton Luzern für die Ansiedlung von volkswirtschaftlich bedeutenden Grossbetrieben vorgesehen hat. Allesamt sind sie im kantonalen Richtplan ausgeschieden. Wer dort bauen will, muss viele Kriterien erfüllen. So soll er eine grosse Zahl qualifizierter Arbeitsplätze schaffen und dies mit möglichst hoher Wertschöpfung. Zudem richtet sich das strategische Arbeitsgebiet an grossflächige Betriebe, die in bestehenden Bauzonen gar keinen Platz haben. In Mehlsecken, zwischen dem Huebbach und der Autobahn, wurden diese Kriterien offenbar erfüllt. Der WB machte am Dienstag publik, dass die Firma Swisspor auf der insgesamt 20 Hektar grossen Fläche, wo momentan Rollrasen produziert werden, einen Produktionsstandort für moderne Dämmstoffe errichten will.

Viel Wirtschaftsprominenz
Am Mittwoch wurde das Projekt an einer Medienkonferenz im Detail vorgestellt. Die Grösse und Wichtigkeit der geplanten Neuansiedlung erahnen liess die Einladung zur Medienkonferenz, die Ende letzter Woche den Weg in die Mailbox der Medienschaffenden fand. Vier Referenten waren angekündigt: Regierungsrat Fabian Peter, der Reider Gemeindepräsident Hans Kunz, Daniel Jenni, der Geschäftsführer der Swisspor und Andrea Weber Marin, Vizedirektorin und Leiterin Forschung bei der Hochschule Luzern Technik & Architektur. Zudem waren weitere hochrangige Namen aus der Wirtschaft als Gäste vor Ort, so Bernhard Alpstaeg, Verwaltungsratspräsident der Swisspor oder Ivan Buck, Direktor der Wirtschaftsförderung.

Zum Grossprojekt im Detail: Die 20 Hektar grosse Fläche soll in zwei Parzellen unterteilt werden. Auf einer Fläche von 145 0000 Quadratmetern beabsichtigt die Swisspor, ein Produktionswerk für Öko-Baustoffe und ein eigenes Dienstleistungszentrum zu errichten. Auf der restlichen Fläche sollen später Forschungseinrichtungen und Firmen aus den Branchen Gebäude- und Umwelttechnologien angesiedelt werden. Diese Firmen und Forschungsbetriebe sollen einen sogenannten Cluster bilden. Ein etwas überspitztes Beispiel dieses Verbundes: Was der Banken-Cluster am Paradeplatz in Zürich oder das Silicon-Valley in Kalifornien für die IT-Branche, soll dereinst im Kleinen der Umwelt- und Gebäudetechnik-Cluster in Mehlsecken werden. Ziel, so der Kanton, sei es, weitere branchenverwandte Betriebe anzusiedeln, um so Synergien in der Forschung und Entwicklung klimaneutraler Baustoffe und Bauteile zu erwirken.

700 Meter lang, bis 30 Meter hoch
Das Grossprojekt wird in mehreren Etappen gebaut. In einem ersten Schritt soll bis 2026 ein Produktionsgebäude zu stehen kommen. Konkret: Das Gebäude ist rund 625 Meter lang und zwischen 150 und 200 Meter breit. Höhe: mit dem Hochregallager bis zu 30 Meter. Zum Vergleich: Der Landi-Turm in Reiden ist 25 Meter hoch. Mit dieser Millioneninvestition will die Swisspor in den nächsten Jahren laut Geschäftsführer Daniel Jenni «500 bis 700 sichere und moderne Arbeitsplätze schaffen». Für das ganze Areal sind später laut Angaben des Kantons bis zu 1000 neue Arbeitsplätze vorgesehen. Die Bruttowertschöpfung des Werkes in Reiden schätzt der Kanton auf jährlich 40 bis 80 Millionen Franken. Geld, das in die Region fliesst.

Modernste Produktionsanlage
Die Swisspor ist eine international tätige Firma, welche weltweit über 4200 Mitarbeiter beschäftigt. Der Familienbetrieb, letztes Jahr 50 Jahre alt geworden, hat sich auf das Dämmen, Dichten und Schützen von ganzen Gebäudehüllen spezialisiert. Das Unternehmen, im Besitz der Familie Alpstaeg, erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von 1,5 Milliarden Franken. «Mit der Schaffung eines nationalen Kompetenzzentrums für die energieeffiziente Gebäudehülle wollen wir die modernste Produktion von Europa realisieren», sagte Swisspor-CEO Daniel Jenni. Man erhoffe sich so, den CO2-Fussabdruck gegenüber dem heutigen Standard um 40 Prozent zu reduzieren. Mehr als eine Million Immobilien in der Schweiz seien sanierungsbedürftig, knapp ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der Schweiz würden durch Gebäude verursacht. «Der ökologische Dämmstoff gewinnt immer mehr an Bedeutung. Es braucht dafür einen zusätzlichen Produktionsstandort in der Schweiz», so Jenni.

Klimaziele erreichen
Die geplante Ansiedlung freut den Luzerner Wirtschaftsdirektor Fabian Peter. «Es ist in doppelter Hinsicht eine Chance für die Region und unseren Kanton: Einerseits entstehen Arbeitsplätze, Innovation und Wertschöpfung und andererseits ermöglicht das Cluster einen Beitrag zur Erreichung unserer Klimaziele», sagte der Regierungsrat.

«Wir sind gekommen, um zu bleiben», habe Bernhard Alpstaeg anlässlich eines Gespräches mit der Reider Behörde vor rund anderthalb Jahren gesagt, erzählte Gemeindepräsident Hans Kunz an der Medienorientierung. «Dieses Versprechen haben wir ihm damals abgenommen.» Die Gemeinde habe sich monatelang mit dem Projekt auseinandergesetzt und Chancen und Risiken abgewogen, so Kunz. Letztlich sei der Gemeinderat überzeugt, dass das Pendel zwischen Aufwand und Ertrag «deutlich zugunsten des Ertrages ausschlägt.» Die Realisierung eines Gebäude- und Umwelttechnologie-Clusters sei eine grosse Chance für die Gemeinde. Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg des Projekts sei die Kommunikation, Information und Mitwirkung der Bevölkerung. «Deshalb war uns die Einsetzung einer Steuerungsgruppe sehr wichtig», sagte Hans Kunz. Einsitz in dieser Gruppe haben neben der Gemeinde Vertreter aus dem Kanton, Swisspor, Wirtschaftsförderung und unabhängigen Experten.

Mit im Boot und eine tragende Rolle im beabsichtigten Cluster ist die Hochschule Luzern. Das Projekt passe sehr gut zu den strategischen Zielen der Hochschule Luzern, sagte Professorin Andrea Weber Marin von der HSLU. Seit mehreren Jahren pflegt die Hochschule eine Forschungskooperation mit der Swisspor. So habe man etwa das Projekt «Dämmung von saisonalen Speichern» gemeinsam durchgeführt. «Die Swisspor entwickelte die Dämmungen, wir simulierten deren Wirksamkeit und testeten diese in einem realen Umfeld», sagte sie.

Bevölkerung entscheidet voraussichtlich im Frühling 2023
Was sind die nächsten Schritte in diesem Grossprojekt? Im Nutzungsplan der Gemeinde Reiden ist das Gebiet als Reservezone ausgeschieden. Das ganze Areal des strategischen Arbeitsgebiets soll gesamthaft eingezont werden. Vorgesehen ist, dass die Reider Bevölkerung an einer Gemeindeversammlung im Frühling 2023 über die Einzonung befindet. Dann folgt wie gewohnt ein Baubewilligungsverfahren, im Rahmen dessen auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung stattfindet. Eine allfällige Realisierung des Swisspor-Werks wie auch der weiteren Forschungseinrichtungen und Firmen erfolgt in Etappen: Bis 2032 soll der Gebäude- und Umwelttechnik Cluster in Mehlsecken Tatsache sein.

Der Komplex hat noch einige Hürden zu nehmen. Die Herausforderungen sind gross, sei es raumplanerisch, umweltrechtlich oder auch punkto Verkehr. Klar ist auch: Wird dereinst im strategischen Arbeitsgebiet der Bagger auffahren, gehen 200 000 Quadratmeter Fruchtfolgeflächen, also beste und ertragreichste Böden, verloren. Diese Fläche muss kompensiert werden. Während der Kanton dies «als grundsätzlich lösbar» erachtet, war Reidens Gemeindepräsident Hans Kunz konkreter. So soll ein Grossteil der Kompensation «in der Nähe» von Reiden passieren.

«Die Chance ist grösser als das Risiko»

Die Swisspor will im strategischen Arbeitsgebiet von Reiden gross investieren. Gestern Mittwoch wurde im Beisein von viel Wirtschafts- und Politprominenz über das Projekt informiert. Ein Freudentag für Reiden?
Hans Kunz: Ja, das kann man sagen. Wir erachten das Projekt als einmalige Chance für die Gemeinde. Es schafft viele qualifizierte Arbeitsplätze und generiert eine hohe Wertschöpfung. Mit im Boot ist mit der Swisspor ein traditionsreiches Unternehmen, dazu die Cluster im Bereich der Gebäude- und Umwelttechnologie: Das ist gut für unsere Image und sendet ein positives Signal aus.

Über welchen Zustupf kann sich das (klamme) Steuerkässeli von Reiden dank dem Firmenzuzug freuen?
Eine Zahl kann ich Ihnen nicht nennen. Das wäre nicht seriös. Klar ist: Es dürfte ein namhafter Betrag sein, der unserer Steuerkasse guttut. Die Steuereinnahmen sind aber nur ein Bereich. Mit einer externen Studie haben wir untersucht, welche Auswirkungen die geplante Neuansiedlungen punkto Steuereinnahmen, Verkehrssituation, Arbeitsplätze oder Schulsituation auf unsere Gemeinde hat. Dabei hat sich gezeigt: Die Chancen sind grösser als die Risiken.

Wie liefen die Verhandlungen?
Es waren vor allem Gespräche und nicht Verhandlungen, die bisher stattfanden. Sie verliefen konstruktiv und gut. Wir sind froh, dass wir im Steuerungsgremium Einsitz haben und mitreden können.

Was ist die grösste Herausforderung in diesem Grossprojekt?
Wir müssen die Bevölkerung für dieses Projekt gewinnen. Das grosse Vorhaben führt natürlich zu vielen Fragen.

Zu reden dürfte der Verlust von 20 Hektaren Fruchtfolgefläche geben. Kulturland, das unwiderruflich verschwindet. Tut das einem Naturliebhaber wie Hans Kunz nicht weh?
Klar: Jeder Quadratmeter Land, der verschwindet, schmerzt. Dem können wir uns im Jahr 2022 nicht verschliessen, ohne eine massvolle Entwicklung zuzulassen. Aber: Mit der fruchtbaren Humuserde von Mehlsecken werden andere Böden in der Nähe aufgewertet. Dazu kommt: Die Ackerflächen im strategischen Arbeitsgebiet werden zurzeit intensiv genutzt, da ist nicht viel Biodiversität vorhanden. Dank den geplanten Photovoltaikanlagen, der Begrünung auf den Dächern und Retentionsflächen macht das beabsichtigte Bauprojekt viel Wertvolles für die Biodiversität. Tatsache ich auch: Wird der geplante Cluster nicht in Reiden realisiert, dann eben an einem anderen Ort.

Und der Verkehr? Der ist auf der Pfaffnauerstrasse und rund um den Autobahnanschluss schon jetzt hoch und wird mit dem Projekt gar noch zunehmen. Kann das die Gemeinde verkraften?
Ja, wir sind überzeugt, dass wir mit den vom Astra aufgezeigten Optimierungen den Verkehr in geordnete Bahnen lenken können. Das zeigt eine Studie, welche vom Kanton unterstützt und vom Bundesamt für Strassen in Auftrag gegeben wurde.

Der Gemeinderat freut sich über das Projekt. Tut das auch die Bevölkerung?
An der Gemeindeversammlung haben wir auch kritische Stimmen gehört. Bei Telefonaten mit Parteienvertretern, Entwicklungsträgern oder Präsidenten der Nachbargemeinden habe ich aber nur positive Signale vernommen. Das Projekt verleihe nicht nur der Gemeinde Reiden, sondern der ganzen Region Aufschwung, wurde mir etwa mitgeteilt.

Stephan Weber

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