Fragwürdige Medikamententests

In der Psychiatrischen Klinik sollen in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Patienten mit nicht zugelassenen Medikamenten behandelt worden sein. 

Symbolbild Mario Heinemann/pixelio.de
Stefan Bossart

Von den Medikamententests betroffen waren in St. Urban offenbar über 200 Personen. Die Pharmafirmen hätten die Medikamente gratis zur Verfügung gestellt und im Gegenzug Resultate erhalten, sagte der Medizinhistoriker Urs Germann am Donnerstag in einem Beitrag der SRF-Sendung «Schweiz aktuell». Im Fernsehbeitrag war ein Testbericht über das in St. Urban verwendete Beruhigungsmittel Taractan von 1962 zu sehen. Teilweise sei es zu Zwangsbehandlungen bekommen, teilweise seien Patienten dazu überredet worden, sagte Germann. Getestet wurden insgesamt fünf Medikamente, darunter auch Valium. Die fünf Arzneimittel wurden später alle zugelassen. Germann geht jedoch davon aus, dass noch weitere Präparate getestet wurden – darunter mit Wahrscheinlichkeit auch solche, die nie zugelassen wurden.

St. Urban ist kein Einzellfall

Im April war bekannt geworden, dass die Psychiatrische Klinik in Basel zwischen den Fünfziger- und den Siebzigerjahren regelmässig nicht zugelassene Wirkstoffe an Patienten getestet hatte. Über Medikamentenversuche in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen wurde 2015 eine Studie in Auftrag gegeben. Ein interdisziplinäres Forschungsteam untersucht dieses dunkle Kapitel der Psychiatrie im Thurgau, von dem über 1600 Patienten betroffen waren. Auch in der Psychiatrischen Klinik Herisau kamen im Juli 2016 heikle Tests mit Medikamenten ans Tageslicht, die in den Fünfzigerjahren durchgeführt wurden. «Aus der heutigen Sicht mag der damalige Umgang mit Medikamenten fragwürdig sein», hielt Markus Schmidli, ärztlicher Direktor des Ausserrhoder Spitalverbundes, beim Bekanntwerden der Vorwürfe in einem Bericht des «St. Galler Tagblatt» fest und warnte vor einer Skandalisierung. In den Fünfzigerjahren sei es normal gewesen, dass Medikamente vor der Markteinführung aufgrund der begrenzten Behandlungsmethoden in Psychiatrischen Kliniken getestet wurden. «Die Alternativen waren Zwangsjacken oder hoch dosiertes Opium.»

Aufarbeitung wird angegangen

«Die heutigen kantonalen Behörden können nichts für die Versäumnisse der Vergangenheit. Aber sie müssen alles daransetzen, dass diese aufgearbeitet werden», sagte die Leiterin der Patientenstelle Zentralschweiz, Barbara Callisaya, gegenüber der «Luzerner Zeitung». Dieser Forderung will der Kanton Luzern nachkommen, wie Gesundheitsdirektor und Regierungspräsident Guido Graf auf Anfrage des «Willisauer Bote» mitteilte. Der Kanton beauftrage eine externe Person oder Institution mit der Überprüfung. Aktuell sei man dabei, andere Kantone anzugehen, in welchen damals auch solche klinischen Tests durchgeführt wurden. 

Praxis hat sich
grundlegend geändert

Der Regierungsrat war vor den Recherchen von «Schweiz aktuell» nicht im Bilde, was die Medikamententests angeht. «Wie wir inzwischen wissen, fanden die Versuche in St. Urban aber nicht im Geheimen statt. Der damalige Psychiater Walter Pöldinger machte seine Tests in verschiedenen Zeitschriften publik und beschrieb diese ausführlich», so Graf. Ohne Tests dürfe man bis heute ein Medikament gar nicht zulassen. Einen zentralen Unterschied zur früheren Praxis gebe es jedoch: Heute brauche es die Einwilligung einer Ethikkommission. Ausserdem müsse der Patient ausführlich über den aktuellen Stand der Forschung sowie über allfällige Wirkungen und Nebenwirkungen aufgeklärt werden. Erst dann dürften solche Tests mit der Einwilligung des Patienten durchgeführt werden. sda./bo.

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