Ein Abend, der für Hühnerhaut sorgte

Sagenhaft heftig war am Samstagabend der Schlussapplaus für das «Sagenhafte Dagmersellen» in der Kessi Schüür. Er galt den organisierenden Kulturgselle, den Erzählenden und den Musikerinnen Sybille Kunz und Elisabeth Sulser mit ihren mittelalterlichen Instrumenten.

Stefan Bossart

cher ihre Freude über den sagenhaften Abend als physisches Geschenk mit nach Hause genommen, sie wären nicht weit gekommen. Schon nach wenigen Schritten wären sie von schwarz verhüllten Burschen eingefangen und verschleppt worden. So erging es nämlich den Protagonisten vom Sagenspiel «Kloster Dagmersellen», welches die Kulturgselle ihren Gästen als Schlussbouquet servierten. Die Gier nach Gold hatte einen Wandergesellen trotz der Warnung, beim Einpacken der Goldgeschenke nicht übermässig zu sein, übermannt und ins Verderben geführt. Es war nicht der einzige Hinweis auf Unheimliches an diesem Abend unter dem schützenden Dach der Kessi Schüür, wo sich die Stimmung mit dem Einnachten und unter dem wechselnden Spiel der künstlichen Beleuchtung immer wieder wandelte. Hier stellte Kulturgselle-Präsidentin Irene Arnold ihren vierjährigen Verein im Spiegel seiner vielfältigen Aktivitäten vor und gestand, «dass wir fast zu viel Ideen haben, um der Geschichte Dagmersellen in ihren verschiedenen Facetten gerecht zu werden.»

Lebendige Geschichte(n)

Diese Geschichte wurde lebendig, als Klaus Fellmann, Klaus Steiner, Jules Walther, Sepp Wanner und Delia Fellmann alte Sagen, Kraftorte, verschwundene Häuser und Bäume zum Leben erweckten und in die Gegenwart integrierten: mit dem Ziel, der Bevölkerung eine Beziehung zu vermitteln zu dem, was ihre Vorfahren geglaubt und verehrt oder verabscheut hatten. Sagen spielten dabei eine grosse Rolle, mündliche und schriftliche Überlieferungen, auch Flurnamen und heilige Bäume, Wegkreuze, Kapellen und geistliche Herren. Ausgrabungen hatten alte Geschichten zum Teil bestätigt, und ebenso der Volksglaube, in dem der Kreuzberg heute noch ein Kraftort ist. Jules Walthert erzählte, Nacht für Nacht sei am Kreuzhubel eine Kuh gefallen, und sogar in Rom habe man nach Abhilfe gesucht. Eine Reliquie sollte dann Hilfe bringen, die zuerst in einer alten Eiche verborgen wurde und später je nach Glaube oder Aberglaube einen Irrweg machte zwischen Kreuz und heiligen Bäumen. 1754 befahl ein Pfyffer von Altishofen, das Kreuz zu fällen, das aber wieder errichtet wurde, als ein Pfarrer krank wurde. 1806 wurde auf Befehl des Kantons die letzte Reliquien-Eiche gefällt und 1888 die heutige Kapelle gebaut.

Ins gleiche Gebiet der Sagen gehört der Türst, dessen Verwüstungen nur verhindert werden konnten, wenn nachts alle Türen und Fenster offen blieben, wie Sepp Wanner erzählte: «Es hed ggräblet, gstampfet, töset, d Hünd hend bbället.» Ganz schlimm ist es laut Delia Fellmann im Pfarrhaus in Uffikon zugegangen, wo es ein Pfarrer nie lange ausgehalten habe. Türen gingen auf, obwohl niemand davor stand, Geschirr fiel zu Boden, sodass der Pfarrer und sein Kapuziner-Gast in der Stube schliefen und erleben mussten, dass am Morgen alle Kreuze umgekehrt an der Wand hingen. Als das Pfarrhaus dann zum Schulhaus wurde, sei der Spuk vorbei gewesen.

Von einer gruselige Geschichte berichtete Klaus Steiner, die sich um ein Arme-Sünder-Chäppeli und um zwei Männer rankte, die am Holzen waren und denen eine Magd das Znüni brachte. Als sie nachher Beeren suchte, habe sie einen Totenschädel gefunden und ihn zum Friedhof bringen wollen. Weil aber der Korb immer schwerer wurde», erzählte er, «wollte ein Mann helfen, aber auch ihm war der Korb zu schwer. Als er das Tuch wegzog, fing der Schädel an zu bluten und entlarvte damit den Mörder.» 

Ton um Ton zum unvergesslichen Abend

Viele ungeheuerliche Geschichten prasselten auf die Gäste ein, die sich auf die harten Bänke drückten. Sie wurden aber innerlich versöhnt durch die mittelalterlichen Melodien, die Sybille Kunz und Elisabeth Sulser auf verschiedenen Instrumenten spielten: Drehleier, Harfe, Psalterium, Sackpfeife, Gämshorn, Blockflöte, Orgel, Dudelsack, Tafelklavier. Die beiden Damen nahmen die unterschiedlichen Stimmungen der alten Sagen auf, verstärkten sie oder liessen die Zuhörerinnen der mörderischen Geschichten mit andächtigen Melodien etwas durchschnaufen. Hühnerhaut war spätestens bei der nächsten Geschichte wieder garantiert. Und dies an einem Abend, bei dem Dagmerseller Geschichte(n) zum Leben erweckt wurde.

 

Adelheid Aregger

Plain text

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • HTML - Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Web page addresses and email addresses turn into links automatically.