Mit Stil gegen die Mode-Riesen

Die Grosswangerin Lea Vogel schneidert mit Köpfchen und Herz. Zeitlos, nachhaltig und hochwertig soll ihre Kleidung sein. Damit ist die Modedesignerin Teil eines Neubeginns, bei dem den Riesen in der Branche die Stirn geboten wird.

«Ich will Kleidung schaffen, die im besten Fall nach Jahrzehnten noch getragen werden kann», sagt die Grosswangerin Lea Vogel. Fotos Chantal Bossard
Chantal  Bossard

Altstadt Luzern, Samstagvormittag.  Das luftig-weisse Hemd mit Rüschen an den Ärmeln. Die hochgeschnittene Hose mit Blumenmuster. Das samtene Haarband mit Perlendekoration. Die Cordjacke mit modisch ausgefranstem Saum – in Beige und Rosa. Die T-Shirts, gepunktet, gestreift und unifarben, gibt es zum Aktionspreis, 3 für 2. «Das macht dann alles zusammen 132.40 Franken», sagt der Verkäufer und verstaut die Kleidungsstücke in der Tüte. «Ach, Sie sind Member? Genau, Sie kriegen 10 Prozent Rabatt.»

Eine Hose für 290 Franken
Ostergau, Grosswangen, Montagmorgen. Das Atelier von Lea Vogel befindet sich in einem umgenutzten Pferdestall. Die braunen Holzlatten wurden mit weis­ser Farbe überstrichen, grosse Fenster durchfluten den Raum mit Licht. In der Luft tanzen kleine Staubkörner. In der Mitte des Raumes steht ein langer Holztisch, darauf in schlichter Vase ein bunter Blumenstrauss. Das «Herz» des Raumes versteckt sich oben links, ganz in der Ecke, direkt vor einem der grossen Fenster: die Nähmaschine, eine Bernina Industrial. Daneben: Schnittmuster, Skizzen, Stoffe, all das, was noch werden wird. Und zuvorderst neben dem Eingang hängen die fertigen Modelle an einer langen Metallstange, geordnet nach Farbe. Die dunkelblaue Cordjacke mit Brusttasche kostet 390 Franken. Für den weissen Pullover mit Knopfleiste bezahlt man 240 Franken, für die beige Hose 290 Franken.

Der umgenutzte Pferdestall dient als Atelier.

Alle Modelle wurden eigenhändig entworfen und angefertigt von Lea Vogel.  «Tiefer kann ich mit den Preisen nicht runter, ohne gegen meine Prinzipien zu verstossen», sagt die Modedesignerin. Das tapfere Schneiderlein stickt sich den Satz «Sieben auf einen Streich» auf den Gürtel. Lea Vogel verschreibt sich der nachhaltigen und zeitlosen Kleidung.

Bis zu 24 neue Kollektionen bringen grosse Fashion-Unternehmen pro Jahr heraus. Neue Styles, circa alle zwei Wochen. Schweizerinnen und Schweizer haben im Schnitt 118 Kleidungsstücke im Schrank, kaufen jedes Jahr 60 neue Stücke dazu. 40 Prozent ihrer Kleider tragen sie nie oder nur zwei bis vier Mal. Jedes Jahr werden 6.3 Kilogramm Altkleider pro Person weggegeben. Das schreibt das Bundesamt für Umwelt auf der Website. Der Trend von heute ist der Müll von morgen.

Lea Vogel trägt eine weisse weite Hose und einen dazu passenden Pulli, darüber einen langen Mantel, alles aus Eigenproduktion, wie der Grossteil ihres Kleiderschranks. Sieht man die 29-Jährige in diesen Klamotten, weiss man plötzlich, was sie mit «zeitlos» meint: Die Schnitte sind simpel, unisex, das Design schlicht. Blümchen, Pünktchen oder Neon-Farben sucht man vergebens. «Ich will keine schnellen Trends verkaufen», hält Lea Vogel fest. Sondern: «Im besten Fall Kleidung, die auch nach Jahrzehnten noch getragen werden kann.» Voraussetzung dafür: qualitative Verarbeitung und hochwertige Stoffe.

Laut Focus Online bestehen 60 Prozent der produzierten Billigkleidung aus synthetischen Stoffen. Allein bei der Herstellung von Polyester werden jedes Jahr 98 Millionen Tonnen Erdöl benötigt. Die Textilindustrie verursacht jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO₂ – und damit mehr als internationale Flüge und Kreuzfahrten zusammen.

Keine Aktivistin
Hanf, Leinen, Baumwolle – Naturfasern: «Ich verwende zu 100 Prozent natürliches Material, biologisch, fair und in Europa hergestellt», sagt Lea Vogel. Vorbildlich! Die Grosswangerin schüttelt den Kopf, Lobesworte sind ihr unangenehm. «Ich will nicht missionieren oder moralisieren.» Auf andere mit dem Finger zeigen, den Lebensstil anprangern, das ist nicht ihre Art. Sagt sie. Und man glaubt es ihr sofort, wie sie da an dem rustikalen Holztisch in ihrem Atelier sitzt, und die Antworten stets innerlich abzuwägen scheint. Ob sie denn im Kampf sei, quasi ein tapferes Schneiderlein gegen die Fashion-Riesen? Lea Vogel lacht. «Das würde jetzt gut passen, oder?», fragt sie. Doch sie schüttelt den Kopf. «Es ist für mich kein Kampf.» Klar sei sie der Überzeugung, dass Kleidung, die gut für den Planeten ist, auch gut für uns ist. Und ja, ihr gefalle der Gedanke, mit ihrer Arbeit etwas Positives für die Umwelt zu tun. «Doch ich bin keine Aktivistin. Ich lebe und arbeite schlicht nach den Werten, mit denen ich aufgewachsen bin und an die ich selbst glaube.»

"Ich bin keine Aktivistin. Ich lebe und arbeite schlicht nach den Werten, mit denen ich aufgewachsen bin und an die ich selbst glaube."

Von Grosswangen nach Berlin
Lea Vogel wächst zusammen mit ­drei Geschwistern auf einem Biohof im Ostergau auf, wo sie heute lebt und arbeitet. Als Handarbeitslehrerin gibt ihre Mutter den Kindern früh mit, dass kaputte Sachen geflickt oder unpassende Schnitte umgemodelt werden können. Bereits als Jugendliche näht Lea Vogel für das Jugendtheater Willisau Kostüme. Nach Abschluss der Kanti in Willis­au bewirbt sie sich für den Studiengang Modedesign an der Hochschule in Basel. Das Aufnahmeverfahren ist streng, die Anforderungen hoch. Nur wenige der Bewerbungen werden angenommen. Lea Vogel ist dabei. Von Planung, Entwurf und Produktion der Kleidung, Stoffkunde, Verarbeitung, Schnitt und Entwurfstechniken bis hin zur Mode- und Designtheorie: «Modedesign ist ein vielfältiger Studiengang», sagt sie. Zwischendurch macht sie Praktika, arbeitet in grossen und kleinen Schneidereien. Für zwei Semester schnuppert die Grosswangerin Grossstadtluft: Sie studiert in Berlin.

Unansprechbar an der Nähmaschine
2016 schliesst sie das Studium erfolgreich ab. 2017 gründet sie ihr eigenes Modelabel: V – Lea Vogel. «Dass ich selbständig sein möchte, war für mich von Anfang an gegeben.» Sie will selbst bestimmen, was sie wie und wann macht. Die inzwischen zweifache Mutter schätzt es, von zu Hause aus arbeiten zu können, flexibel zu sein. «Ab und zu sind meine beiden Kinder bei mir, während ich am Arbeiten bin.» Die Buben haben ein Privileg: Ansonsten lässt sich Lea Vogel in ihrem Atelier nämlich nur ungern stören. «Entwerfe ich ein neues Kleidungsstück oder sitze ich an der Nähmaschine, versinke ich in meine eigene Welt. Dann bin ich kaum mehr ansprechbar.» Wie ihr denn jeweils die Idee für neue Modelle komme? «Ich überlege mir, was ich gerne tragen würde», sagt die kreative Designerin. Und: «Meist kommt der Stoff vor der Idee.

V – Lea Vogel: Das Modelabel der Grosswangerin.

Haargummis aus Stoffresten
Und das scheint anzukommen. «Die Nachfrage stimmt», sagt Lea Vogel. Ihre Kleidung hängt in Boutiquen oder wird an Ausstellungen präsentiert. Regelmässig besucht sie Handwerkermärkte, dort stossen ihre Stücke auf viel Wohlwollen. Es könnte gar noch besser laufen, «wäre ich nicht so scheu.» Sie habe Hemmungen, ihre Ware am Marktstand mit lauten Worten anzupreisen. «Ich bin noch keine gute Verkäuferin», gesteht sich die 29-Jährige ein. Auch was die sozialen Medien angeht, gebe es noch Potenzial. Um auf ihre Webseite hinzuweisen, zum Beispiel. Darauf hat sie einen Online-Shop eingerichtet, worüber die Kleidungsstücke bestellt werden können. Geht eine Bestellung bei Lea Vogel ein – sei es am Handwerkermarkt oder über die Website – macht sie sich an die Arbeit. «Indem ich erst auf Nachfrage loslege, vermeide ich eine Überproduktion – dafür kommt es manchmal zu Wartefristen», erklärt sie. Gibt es Stoffresten, fertigt sie daraus Haargummis. Üblicherweise kommen die Kundinnen oder Kunden bei ihr vorbei, um Mass zu nehmen. Jung, Alt, Städterin oder Hinterländer: «Bei meiner Kundschaft gibt es kein typisches Schema.»

"Lea Vogel designt und produziert mit Sorgfalt, Liebe und Aufmerksamkeit, um Bewusstsein und Wertschätzung für das Handwerk zu stärken."

Kleidung kostet
«Lea Vogel designt und produziert mit Sorgfalt, Liebe und Aufmerksamkeit, um Bewusstsein und Wertschätzung für das Handwerk zu stärken»; steht auf der Webseite von Lea Vogel. Wie meint sie das? «So wie es geschrieben steht», sagt sie. «Es ist schön, wenn sich die Menschen wieder bewusster werden, dass für ein T-Shirt jemand gearbeitet hat.» Und sobald das nachhaltig und fair geschehe, habe das seinen Preis.

In Bangladesch etwa liegt der Mindestlohn bei 89 Euro im Monat, dafür schuften Näherinnen 16 Stunden am Tag, schreibt geo.de.

Entwerfen, verwerfen, neu designen, zufrieden sein, einen Prototypen herstellen, Werbung machen, Mass nehmen, Fragen beantworten, das endgültige Kleidungsstück anfertigen, verkaufen und das alles nach einem hohen ethischen Standard: Das passiert nicht umsonst. «Dann kostet eine Hose halt 290 Franken. Mindestens», so Lea Vogel. Der Preis stosse manchmal auf ungläubige Gesichtsausdrücke. «Doch sobald man mit den Leuten das Gespräch sucht, dann begreifen sie es sofort.» Sowieso: «Das Bedürfnis nach einer nachhaltigen Textilproduktion wird immer grösser –  somit auch das Angebot an alternativen Anbietern.» Das Bewusstsein wächst. Das Bewusstsein, dass jede und jeder zur fairen und nachhaltigen Kleiderherstellung beitragen kann. Indem man lokal bei kleinen «Schneiderleins» einkauft – und so den Mode-Riesen die Stirn bietet. Mit Stil.

Lea Vogel studierte in Basel und Berlin Modedesign. Im Jahr 2017 gründete sie ihr eigenes Label: V – Lea Vogel. In einem umgenutzten Pferdestall hat sie ihr Atelier.

Chantal Bossard

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