«Die grösste Hürde ist die Sprache»

Mit dem Programm «Starthilfe Arbeitsmarkt» werden ukrainische Schutzsuchende beim Einstieg in den Arbeitsmarkt unterstützt. Karin Hunziker, Leiterin Berufliche Integration von Caritas Luzern, ist verantwortlich für das Projekt. Sie sagt: «Die Sprache ist ein zentraler Punkt für die Integration.»

"Es geht auch darum, eine feste Tagesstruktur zu haben", sagt Karin Hunziker, welche die Berufliche Integration der Caritas Luzern leitet. Foto: zvg
Stephan Weber

Seit dem Sommer 2022 begleitet die Caritas Luzern ukrainische Geflüchtete bei der Suche nach einer Arbeitsstelle. Wie ist es zum Projekt «Starthilfe Arbeitsmarkt» gekommen?

Geflüchtete Personen aus der Ukraine erhielten nach dem Kriegsausbruch bei ihrer Ankunft in der Schweiz den Schutzstatus S. Mit diesem lässt sich zwar sofort arbeiten, gleichwohl ist der Status «rückkehrorientiert». Heisst: Die öffentliche Hand sah für die Berufsintegration der Schutzsuchenden keine Unterstützung vor. Nachdem wir von verschiedenen Seiten um Unterstützung angefragt wurden, entschlossen wir uns, diese Lücke zu schliessen und damit den Geflüchteten zu helfen, eine Arbeitsstelle zu finden.

Wie hilft die Caritas konkret? Können Sie den Ablauf im Groben erklären?

Das Programm ist freiwillig. Wer Interesse hat, kann sich bei der Caritas Luzern melden. Das Projekt ist in vier Phasen aufgeteilt. In einer ersten Phase wird den Geflüchteten das Schweizer Arbeitssystem nähergebracht. In der zweiten Phase werden Bewerbungsworkshops angeboten. Die Geflüchteten lernen etwa, was ein Bewerbungsdossier beinhaltet und wie ein Lebenslauf geschrieben werden muss. Für die meisten ist die Form eines solchen Dossiers neu. In der Ukraine gibt es etwa keine Arbeitszeugnisse, nur Arbeitsbestätigungen, die in einem Büchlein festgehalten werden. In der Phase drei gibt es Einzelcoachings und individuelle Beratungen zur Stellensuche. Vielleicht muss etwa die Kinderbetreuung noch geregelt werden oder der Gesundheitszustand der Person lässt noch keinen Job zu. In der letzte Phase werden Schnupperlehren, Praktikumsplätze oder Stellen vermittelt.

Obwohl mit Schutzstatus S sofort gearbeitet werden kann, sind laut einem Artikel der «NZZ» nur rund 15 Prozent der ukrainischen Geflüchteten im Schweizer Arbeitsmarkt aktiv. Im Kanton Luzern sind es gemäss Auskunft vom Amt für Migration von rund 2200 Personen im erwerbsfähigen Alter knapp 300. Macht der Kanton Luzern genug?

Mir obliegt es nicht, das zu bewerten. Es gibt Kantone, die höhere Integrationsleistungen anbieten und andere, die weniger machen. Zudem sind viele Kantone dabei, ihre Bemühungen im Bereich der Arbeitsintegration zu intensivieren. Klar ist: Die Wirtschaft hat ein grosses Interesse an Arbeitskräften.

Was sind die Hauptgründe, dass nicht mehr Menschen aus der Ukraine hier Arbeit finden?

Die grösste Hürde ist ganz klar die Sprache. Sie ist ein zentraler Punkt für die Integration. Wenn einfachste Arbeitsanweisungen nicht verstanden werden, wird es schwierig mit der Zusammenarbeit. Dazu kommt: Die Geflüchteten sind noch nicht lange in der Schweiz. Viele müssen die Sprache von Grund auf lernen. Denken Sie nur an das Alphabet: Die Geflüchteten schreiben mit kyrillischer Schrift, für viele ist unser Alphabet nur wenig geläufig.

Andere Herausforderungen, mit denen diese Menschen zu kämpfen haben?

Eine weitere Hürde ist die Ausbildung der Geflüchteten. Diese sind hier oft nicht anerkannt. Oder es dauert sehr lange, bis die erforderlichen Bestätigungen vorliegen.

Welche Herausforderungen stellen sich den Firmen?

Ein Punkt ist die Unsicherheit. Der Bundesrat hat angekündigt, dass der Schutzstatus S bis mindestens März 2024 dauert. Was danach passiert, ist unklar. Grundsätzlich würden die Firmen mehr Zeit für die Einarbeitung oder die Ein- oder Umschulung der geflüchteten Menschen brauchen. Aber wenn unklar ist, wie lange die Geflüchteten in der Schweiz bleiben können, ist die Zurückhaltung bei den Firmen verständlich. Diese Unsicherheit gilt auch für die Ukrainerinnen und Ukrainer selber, was sich auf das eigene Engagement auswirken kann. Jüngst wurde bekannt, dass Jugendliche aus der Ukraine ihre Berufslehre in der Schweiz beenden können – auch wenn der Schutzstatus S vorher aufgehoben werden sollte (siehe Kasten). Diese Entscheidung vom Staatssekretariat für Migration (SEM) begrüssen wir sehr.

Wie gross ist die Bereitschaft der Wirtschaft, beim Projekt mitzumachen? Vielerorts herrscht Fachkräftemangel.

Die Bereitschaft der Firmen ist aufgrund der aktuellen Arbeitsmarktsituation gross. Schliesslich fehlt es in der Schweiz nicht nur an Fachkräften, sondern generell an Arbeitskräften. Trotzdem dürfen wir keine Wunder erwarten. Es geht nicht so schnell, wie es sich beide Seiten erhofft haben.

"Wir dürfen keine Wunder erwarten"
Karin Hunziker
Leiterin Berufliche Integration, Caritas Luzern

Zurück zum Projekt: Wie vielen Personen konnten Sie bisher zu einer Arbeitsstelle verhelfen?

Das Projekt gibt es seit August 2022. Zurzeit sind rund 140 Personen Teil des Programms. Mit 40 Personen befinden wir uns in der dritten Phase, im Einzelcoaching. Der Grossteil der Geflüchteten ist in der Vorbereitungsphase und damit beschäftigt, die deutsche Sprache zu lernen, oder sie eignen sich Fachwissen in Praktika und organisierten Weiterbildungen an. Es gibt auch Personen, die nach den Informationen zum Schweizer Berufssystem und den Bewerbungsworkshops die Stellensuche selber in Angriff nehmen und sich für verschiedene Jobs bewerben. Wie viele davon letztlich eine Stelle gefunden haben, wissen wir nicht.

Gibt es Branchen und Berufe, die sich für die Schutzsuchenden besser eignen als andere?

Für die Geflüchteten ist es beispielsweise einfacher, eine Stelle in der Gastronomie zu finden als in der Industrie oder in der medizinischen Pflege, die sehr reglementiert ist. Man ist sich in der Gastronomie schon lange gewohnt, mit Personen aus den unterschiedlichsten Ländern zu arbeiten. Grundsätzlich sind aber Tätigkeiten ohne Kundenkontakt besser geeignet. Da sind die Sprachkompetenzen weniger wichtig.

Wenn es mit einer Arbeitsstelle klappt: Ist die Arbeit dann für Sie erledigt? Oder gibt es eine «Nachbehandlung»?

Das ist unterschiedlich. Je nachdem sind Unternehmen froh, wenn sie eine Ansprechperson bei Fragen haben. Wir drängen uns nicht auf, aber bieten Hilfe an, wenn diese gewünscht wird. Ganz allgemein gilt: Das Projekt ist finanziert durch Gelder, die aufgrund des Ukrainekriegs gespendet wurde. Das Projekt wird so lange erbracht, wie die finanziellen Mittel dafür ausreichen. 

Was auffällt: Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind gut ausgebildet, haben einen Hochschulabschluss in der Tasche. Trotzdem harzt es mit der Stellensuche.

Das ist ein grosses Problem, mit dem viele Geflüchtete aus vielen Ländern kämpfen. Ihr Abschluss ist hier nicht gültig. Häufig fehlt es den Schutzsuchenden an Erfahrung, sie kennen den Schweizer Arbeitsmarkt nicht und sind mit den hiesigen Normen oder Gebräuche wenig vertraut. Ein Beispiel: Die Ukrainerinnen und Ukrainer kennen das duale Bildungssystem nicht. Entweder besuchen sie eine Universität oder eine Hochschule oder haben keinen Abschluss.

Warum sollen Schutzsuchende arbeiten, wenn ihnen mit der Sozialhilfe oft mehr auf dem Konto bleibt als nach dem Abzug von Miete, Steuern und Krankenkassenprämien?

Bei der Arbeitsintegration geht es auch darum, eine feste Tagesstruktur zu haben. Wer eine Arbeitsstelle hat, fühlt sich mehr wertgeschätzt, steigert sein Selbstvertrauen. Je früher das gelingt, umso besser. Zudem ist es gut für die Psyche. Mit einer Tätigkeit lässt es sich von der schlimmen Situation im Heimatland ablenken. Zudem hilft ein Job, die Sprache zu verbessern, neue Leute kennenzulernen und das Gelernte dereinst in der Heimat weiterzugeben.

Bei einer Debatte im Luzerner Kantonsparlament wurde argumentiert, dass es für die Arbeitgeber schwierig sei, den Ukrainerinnen und Ukrainern Arbeit zu geben, wenn diese früher oder später in ihre Heimat zurückkehren möchten. Was sagen Sie dazu?

Es herrscht grosse Unsicherheit auf beiden Seiten. Niemand weiss, wie lange dieser Krieg andauert und wie viele Ukrainerinnen und Ukrainer in ihr Heimatland zurückkehren wollen oder können. Es gibt jene, die zurückgehen wollen, um in ihrem Land beim Wiederaufbau zu helfen. Andere sehen für sich keine Zukunft in der Ukraine. Zentral ist für mich: Solange diese Menschen vor einem schrecklichen Krieg flüchten und in unserem Land Zuflucht suchen, so lange ist es unsere Aufgabe, ihnen zu helfen und sie zu unterstützen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag ist Bestandteil der WB-Wirtschaftsbeilage vom Freitag, 24 März.

Lehre in der Schweiz beenden

Rund 5000 Jugendliche aus der Ukraine im Alter von 15 bis 20 Jahren haben bisher den Schutzstatus S erhalten und damit auch die Möglichkeit, irgendwann in der Schweiz eine Lehre anzufangen. Aktuell besuchen rund 300 ukrainische Jugendliche ein Gymnasium und 1700 ein Brückenangebot zur Vorbereitung auf eine Lehre oder eine allgemeinbildende Schule. Nun dürfen ukrainische Jugendliche bis zum Abschluss ihrer Lehre in der Schweiz bleiben – auch wenn der Schutzstatus S vorher aufgehoben werden sollte. Das hat Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider nach Absprache mit den Kantonen und Sozialpartnern Anfang März dieses Jahres entschieden. (sda/swe)

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