Das aktuelle WB-Gspröch

«Es braucht die SP in der Regierung»

Paul Huber war der dritte Sozialdemokrat in der Luzerner Regierung. Im Interview mit dem WB spricht er über das 125-Jahr-Bestehen der kantonalen SP, über Erfolge und Niederlagen und wieso er kein «Cüpli-Sozialist» ist.

 

Paul Huber auf dem Balkon im Tribschenquartier. Der Lehrer, Gewerkschaftssekretär und Historiker war von 1987 bis 2003 Luzerner Regierungsrat. Foto swe
Stephan Weber

Auf der Langensandbrücke in Luzern zirkulieren zig Autos und Busse, ein Kurierdienst rauscht an einem vorbei. Unterhalb der Brücke fahren die Züge in den Bahnhof Luzern ein. Es ist laut. Ein paar Fussweg-Minuten später wähnt man sich in einer anderen Welt. Im Tribschenquartier säumen Bäume und Hochbeete die Quergassen, welche die Rösslimatte mit der Landenbergstrasse verbindet. Der Verkehr ist weit weg. In der Cécile-Lauber-Gasse, die an die vielfach prämierte Luzerner Schriftstellerin und Künstlerin erinnert, wohnt Paul Huber. Der 75-Jährige empfängt im 2. Stock eines grossen Blockes. «Ein herrliches Quartier, nicht?», fragt er und strahlt.
 
Die SP des Kantons Luzern feiert heuer ihren 125 Geburtstag. Hat die Partei Grund zum Feiern?

Was für eine überflüssige Frage zum Start (lacht). Natürlich hat sie das. Ich bin stolz, was die Partei in all den Jahren erreicht hat. Sie hat ganz viele Ver­dienste.

Als Historiker und früherer SP-­Regierungsrat kennen Sie die Geschichte der Partei sehr gut. Was waren die prägendsten Jahre für die Partei?
Da gibt es verschiedene wichtige Perioden. Die Gründungsphase, die Zeiten rund um das Ende des 1. Weltkrieges mit dem Landesstreik und den Forderungen des Oltener Komitees wie Frauenstimmrecht oder Altersversicherung oder die Krise in den 1930er-Jahre, als die SP ganz prägend war für die schweizerische Politik. Vor allem, als sie mit den Gewerkschaften zusammen Gesamtarbeitsverträge aushandelte. Nicht zu vergessen das Ja zur Armee, welches in der damaligen Zeit ein riesiger Schritt für die SP war. Und: Als einzige schweizerische politische Kraft stellte sich die SP damals eindeutig gegen die Fröntler, während andere Parteien noch nicht realisierten, was abging.

Spielte die SP des Kantons Luzern hierzu eine prägende Rolle?
Das nicht. Aber Luzern war ein besonders schwieriges Pflaster, weil die Konservativen länger brauchten, um sich eindeutig gegen den Faschismus auszusprechen. Die SP organisierte schon damals Gegendemonstrationen, während Faschisten noch in der Stadt Luzern herumspazierten.
 
Blicken wir in die Nachkriegszeit und in die jüngere Vergangenheit.
Ganz entscheidend war die Phase, als auf der linken Seite mit der POCH, den «Nach-68er-Bewegungen» und später den Grünen Konkurrenz auftauchte und die SP zwang, sich neu zu orientieren und sich mit den Gewerkschaften auseinanderzusetzen. Diese sorgten sich bei zu viel Umweltschutz um den «Nachkriegs-Wohlstand».

Was war der grösste Erfolg der SP des Kantons Luzern?
Diese Frage kann ich so nicht beantworten. Im schweizerischen Politsystem kann sich niemand den «grössten Erfolg» auf die Fahne schreiben – auch nicht die Bürgerlichen. Man kann sich höchstens fragen, wo und in welchen Bereichen eine Partei mehr Einfluss nehmen konnte und so etwas bewegt hat.   

Also stellen wir die Frage anders: Wo hat die Partei Entscheidendes geleistet?
Wir waren prägend im Bildungswesen, in der Sozialpolitik, seit den 1970er-Jahren im Umweltschutz und natürlich in Sachen Gleichstellung. In der SP sind die Frauen seit über 100 Jahren voll in der Parteiarbeit integriert, ohne dass sie irgendwelche Abstriche machen mussten. Zudem hat sich die SP in Sachen Frauenstimmrecht sehr, sehr stark eingesetzt.

«Es ist gefährlich für die Demokratie, wenn man Hintersassen hat wie im Mittelalter. Die geduldet sind zum Steuernzahlen und zum Arbeiten – sonst aber will man sie nicht.»
Paul Huber

Niederlagen, die wehtaten?
Auf eidgenössischer Ebene die Ablehnung der Energie-Initiative im Jahr 1983, wo sich die SP des Kantons Luzern stark ins Zeug legte. Bei dieser SP-Vorlage ging es um die Förderung alternativer Energien. Themen, die uns heute in Zeiten des Klimawandels stark beschäftigen. Mit der Initiative hätte man damals wichtige Pflöcke einschlagen und Weichen stellen können. Diese Chance wurde leider vom Stimmvolk verpasst.

Und auf kantonaler Ebene?
Ich bedaure, dass die SP das Bundesgericht anrufen musste, um faire Prämienverbilligungen durchzusetzen. Auch punkto Kindertagesstätten sind wir noch nicht so weit, wie ich mir einst erhofft hatte. Und schade finde ich, dass wir auf der Luzerner Landschaft nicht stärker vertreten sind.

Seit 2015 ist die SP nicht mehr in der Luzerner Regierung. Kehrt sie nächstes Jahr in die Exekutive zurück?
Ich bin kein Wahrsager. Ich hoffe es ganz stark und werde alles dafür tun, damit es klappt. Es ist sehr wichtig, dass die SP wieder Verantwortung in der Regierung übernehmen kann.

Einfach wird es nicht - es gibt Konkurrenz von den Grünen und den Grünliberalen.
Ja, es wird nicht einfach. Aber die Grünliberalen können die SP nicht ersetzen. Die machen eine bürgerliche Politik mit grünem Anstrich, aber keine Sozialpolitik. Wenn es darum geht, die kleinen Leute im Kanton zu vertreten, braucht es die SP. Wir sind die einzige Kraft, die sich um Stipendien, Kitas oder um Fragen zum Existenzminimum kümmern. Es ist gerade jetzt – wo die Preise in der Schweiz stark steigen – umso wichtiger, dass sich Personen mit tiefem Einkommen in der Regierung vertreten fühlen.

Schweizweit haben in den vergangenen Jahren vor allem die GLP und die Grünen zugelegt, teils auf ­Kosten der SP. «Droht» das Gleiche auch im Kanton Luzern?
Es ist eine Herausforderung. Die SP hat aber im Vergleich zu den Grünen oder Grünliberalen einen eindeutigen Mehrwert zu bieten.

An was denken Sie?
Der SP ist die Vereinbarkeit von viel radikalerem Umweltschutz auf der einen und der Verteilungsgerechtigkeit auf der anderen Seite sehr wichtig. Am Schluss sollen nicht die Schwächsten die Hauptlast der nötigen Veränderungen tragen – etwa bei den Heizkosten. In solchen Themen hat die SP am meisten Erfahrung, das ist quasi die DNA der Partei. Obwohl: Wir sind mehr als nur eine Partei. Wohnbaugenossenschaften, Konsumvereine oder der Mieterverband: Das ist alles auf SP-Boden gewachsen.

Zurück zu den Regierungsrats­wahlen: Die SP tritt mit drei Kandidatinnen an. Wer ist Favoritin?
Ich habe alle drei Frauen an einem Podium gehört. Sie sind völlig unterschiedliche Persönlichkeiten. Alle drei sind tolle Kandidatinnen und sehr gut wählbar.
 
Wie verfolgen Sie die Geschicke der SP Luzern heute?
Aus der Ferne. Ich bin sehr interessiert, lese viel, beobachte und gebe auch Tipps oder Ratschläge, falls ich gefragt werde. Aber entscheiden sollen jene, die für die Zukunft stehen und diese auch leben müssen. Die SP hat in den Gremien sehr fähige Leute, die zum Beispiel viel besser als ich wissen, wie ein guter Wahlkampf geführt wird.

Wie wurden Sie politisiert?
Ich bin in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Meine Eltern mussten schauen, wie sie das Lehrerseminar finanzieren konnten. Als Werkstudent habe ich mich stark mit der Arbeiterbewegung auseinandergesetzt und dabei gesehen, was diese Menschen geleistet haben. Sie haben für ihre Familien gestreikt oder sich für die Altersvorsorge starkgemacht, lange bevor die AHV eingeführt wurde. Das hat mir imponiert.

Der einfache Büezer oder die Arbeiterin wählt heute aber nicht mehr SP, sondern viel eher SVP. Ab und zu fällt der Begriff «Cüpli-Partei».
Ich habe noch nie an einem SP-Anlass Cüpli getrunken, es gab auch nie welche. Das ist eine Wortschöpfung der Medien. Aber Spass beiseite. Als früherer Gewerkschaftssekretär würde ich es begrüssen, wenn die SP enger mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten würde, damit sich der Handwerker oder die Handwerkerin gespiegelt sieht und sich vertreten fühlt. Auch das Ausländerstimmrecht auf kommunaler Ebene gehört immer wieder auf das Tapet der SP. Es ist gefährlich für die Demokratie, wenn man Hintersassen hat wie im Mittelalter, die geduldet sind zum Steuernzahlen und zum Arbeiten, aber sonst will man sie nicht. 

«Die SP dürfte ruhig enger mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten. So, dass sich die Arbeiterin oder der Büezer
gespiegelt sieht und vertreten fühlt.»
Paul Huber

In den 16 Jahren, als Sie politisierten, hatten Sie in der Exekutive sechs Regierungsratsgspänli. Aktuell gibt es wieder Stimmen, die sich eine Vergrösserung der Regierung von fünf auf sieben wünschen. Was ist Ihre Haltung?
Obwohl ich seinerzeit als Justizdirektor die Reduktion auf fünf Departemente umsetzen musste, machte ich nie einen Hehl daraus, dass ich gegen eine Verkleinerung des Gremiums war. Dieser Meinung bin ich noch heute. Wichtigster Grund ist die Arbeitsbelastung. Regierungsrätinnen und Regierungsräte sollten täglich auch Zeit und Musse haben, Bücher zu lesen, nachzudenken, Probleme frühzeitig zu erkennen und mit diesem Wissen den Spezialisten in der kantonalen und der Bundesverwaltung auf Augenhöhe zu begegnen. Kurz: Zukunftsszenarien erarbeiten und gestalten statt verwalten.
 
Wie meinen Sie das genau?

Nehmen wir als Beispiel das Departement von Fabian Peter, in welchem mit Verkehr, Umwelt, Richtplan, Klima oder Landwirtschaft so viele Themen vereinigt sind. Zu diesen Bereichen gibt es auf schweizerischer Ebene alleine vier Regierungskonferenzen, in welchen mit dem Bundesrat ausgehandelt wird, wie es bei diesen Themen weitergehen soll. Das sind ganz entscheidende Fragen. Wo sind da die Luzerner Regierungsräte, die dafür Zeit finden, sich dafür intensiv zu engagieren? Schauen sie andere, viel kleinere Kantone in der Zentralschweiz an. Zug oder Nidwalden etwa. Sie haben sieben Mitglieder in der Regierung und schaffen es immer wieder sehr gut, sich Gehör in Bundesbern zu verschaffen.

Mit sieben Räten wäre es für die ­SP auch einfacher, wieder in die Regierung zurückzukehren.
Das auch, aber darum geht es nicht primär. In einem Siebnergremium können die unterschiedlichen Lebenswelten der Luzernerinnen und Luzerner besser im Regierungshandeln abgebildet werden. Stadt und Land, Jung und Alt, Frauen und Männer, Unternehmerinnen und Arbeitnehmende: Diversität tut auch Regierungen gut.

Wie beurteilen Sie die Arbeit der amtierenden Regierung?
Dazu äussere ich mich nicht. Die fünf Herren machen Gutes und weniger Gutes. Wenn ich einem Regierungsrat etwas sagen will, sage ich ihm das im «Ochsentreffen» privat.

Ochsentreffen?
Das ist ein Vorzimmer im Regierungsgebäude, wo Ehemalige zweimal im Jahr zu einem Fürobigapéro eingeladen werden.  
Zum Jubiläumsfest: Werden Sie ­daran teilnehmen?
Auf jeden Fall. Wenn man 50 Jahre in der Partei aktiv gewesen ist, will man Leute treffen, anstossen und Gespräche führen mit Personen, die aus meinem Blickfeld verschwunden sind.

Zum Schluss ein Wunsch für die Partei.
Ich wünsche mir, dass sie nächstes Jahr in die Luzerner Regierung zurückkehrt und ihre Basis auf der Landschaft weiter vergrössern kann.

 

SP feiert

Die SP des Kantons Luzern feiert ihr 125-jähriges Bestehen am 27. August im Kulturzentrum Südpol in Kriens. Nebst einem kurzen Festakt steht die Freude am Austausch mit Gleichgesinnten im Vordergrund. Es gibt einen Apéro, etwas zu essen, Musik und eine Party. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen. (pd)

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