«Der Lehrkräftemangel ist akut»

In Ettiswil wird eine Klassenlehrperson für die 7. Klasse gesucht, Buttisholz benötigt eine Logopädin oder einen Logopäden und Reiden fehlt eine technische Fachlehrperson. Das sind nur drei von zig Beispielen. Der Lehrpersonenmangel spitzt sich zu. Was sind die Gründe? Der WB hat beim kantonalen Lehrerinnen- und Lehrerverband nachgefragt.

Der Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverband (LLV) mit Präsident Alex Messerli (Bild) schlägt Alarm. Foto zvg
Stephan Weber

So sicher wie das Amen in der Kirche folgt alljährlich das Klagen über zu wenig Lehrerinnen und Lehrer – auch dieses Jahr?
Ja, auch dieses Jahr. Allerdings halte ich fest: Es ist kein Klagen, sondern schlicht eine Feststellung, die sich nicht leugnen lässt. Der Mangel an fehlendem Lehrpersonal ist Fakt, wir sehen das tagtäglich. Und als kantonaler Lehrerinnen- und Lehrerverband ist es unsere Aufgabe, auf das hinzuweisen. Es braucht mehr Anstrengungen, um das Problem zu lösen, damit die offenen Stellen bis zum Schulbeginn besetzt werden können.  
 
Konkret: Wie gross ist das Problem?
Es ist akut und noch gravierender als in den letzten Jahren. Zwei Tendenzen machen uns vor allem Sorgen. Einerseits gibt es mehr Stellen, die immer früher ausgeschrieben werden. Und andererseits dauert es immer länger, bis die Stellen dann auch besetzt werden können. Zurzeit werden gut 270 Fachkräfte an den Volksschulen gesucht. Das sind weitaus mehr als in den Vorjahren. Der Lehrermangel hat sich also zugespitzt.
 
Es gibt verschiedene Lehrberufe: Wo ist das Problem am grössten?
Dass Logopädinnen und Logopäden und Lehrpersonen in der integrativen Förderung, bei der integrativen Sonderschulung oder beim DAZ (Deutsch als Zweitsprache) fehlen, ist kein neues Phänomen und ein Problem, das schon länger besteht. Neu fehlt es aber auch an Klassenlehrpersonen. Weil diese zunehmend fehlen, hat sich das Problem des Lehrermangels zusätzlich verschärft.
 
Wo sehen Sie den Hauptgrund für den Lehrermangel?
Es gibt nicht den einen Faktor. Die Welt ist allgemein komplexer geworden, so auch jene der Lehrpersonen. Die Ansprüche sind gewachsen, die Belastung gestiegen. Es gibt Lehrpersonen, die ihr Arbeitspensum lieber reduzieren, um sich zu entlasten. Sie haben das Gefühl, nur so einen guten Job erledigen zu können. Dazu kommt: Viele Lehrpersonen gehen in Pension, die Anzahl der Schülerinnen und Schüler steigt.
 
Wie lässt sich das Problem lösen?
Unsere Forderungen oder Rezepte gegen den Fachkräftemangel sind bekannt. Wir müssen die Professionalität steigern, attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen und die Wertschätzung gegenüber dem Beruf muss grösser werden. Gerade während der Pandemie hat man erkannt, was Lehrerinnen und Lehrer leisten. Es ist nicht einfach ein Unterrichten im Klassenzimmer. Es ist viel mehr: Es ist Beziehungsarbeit. Lehrerinnen und Lehrer sind Fachpersonen, die vielerorts eingebunden sind. Zusammengefasst: Es braucht jetzt den politischen Willen, zügig etwas verändern zu wollen.
 
Sie haben es erwähnt: Die Forderungen sind nicht neu. Ist es nicht frustrierend, gefühlt jedes Jahr die gleichen Forderungen zu stellen und auf die Probleme hinweisen zu müssen?
Das ist ein Teil unserer Aufgabe. Politische Prozesse dauern langsam, das System ist etwas träge. Das Sprichwort «Steter Tropfen höhlt den Stein» beschreibt die Situation treffend. Es braucht Zeit, bis gute Lösungen vorliegen. Ein Beispiel: Während der Pandemie hat unsere Gesellschaft realisiert, wie gross der Handlungsbedarf bei den Gesundheitsberufen ist und wie systemrelevant Pflegerinnen und Pfleger sind. Unsere Situation mit dem Lehrermangel an der Volksschule lässt sich da durchaus vergleichen.  
 
Rund 110 Personen treten dieses Jahr in den Ruhestand. Werden einige noch ein paar Monate oder Jahre weiter arbeiten (müssen)?
Grundsätzlich ist es schön, wenn es Lehrpersonen gibt, die ihren Job länger als bis zum Pensionsalter ausüben möchten. Allerdings löst es das Problem nicht, welches wir haben. Die Lehrerinnen und Lehrer haben genauso ein Anrecht, in den Ruhestand zu gehen, wie es andere Berufe haben.

Macht der Kanton Luzern genug, um den Lehrermangel zu beheben?
Jein. Man kann immer mehr machen. Allerdings ist der Kanton Luzern nicht der einzige Kanton, der zu wenig Lehrpersonal hat. Das kennen in der Schweiz einige Kantone. Gut ist: Es gibt Anstrengungen, das Problem zu lösen. So werden offene Stellen vermehrt auch im nahen Ausland ausgeschrieben.

Es gibt Lehrpersonen, die ihr Pensum reduzieren, um sich vor gesundheitlichen Schäden zu schützen. Das ist tragisch."
Alex Messerli
Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbandes

Es fehlt an Lehrpersonal, obwohl an der Pädagogischen Hochschule (PH) Jahr für Jahr immer mehr Schüler den Lehrerberuf erlernen – ist das nicht ein Widerspruch?
Nein, einerseits sind die vielen Abschlüsse an der PH erfreulich. Nur: Nicht alle der Studierenden, die einen PH-Abschluss in der Tasche haben, unterrichten anschliessend im Klassenzimmer. Offensichtlich reichen die vielen erfolgreichen Abschlüsse nicht. Viel wichtiger ist es, dass die Lehrerinnen und Lehrer möglichst lange im Beruf bleiben und sich nicht frustriert nach ein paar Jahren vom Lehrerberuf abwenden und in die Privatwirtschaft wechseln, weil die Arbeitsbedingungen für sie nicht stimmen. Es gibt Lehrpersonen, die ihr Pensum reduzieren, um sich vor gesundheitlichen Schäden zu schützen. Das ist tragisch.
 
Sie haben es angesprochen: Lehrpersonen arbeiten häufig in Teilzeitpensen. Würden sie mehr Vollzeit arbeiten, wäre das Personalproblem nicht so akut.
Mathematisch mag das stimmen (lacht). Nur: Es gibt Gründe, warum die Lehrpersonen nicht in einem Vollzeitpensum unterrichten. Sie machen es nicht nur, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Teils werden sie in die Teilzeitarbeit gedrängt, weil die Arbeitsbedingungen nicht stimmen und sie an die Belastungsgrenze kommen. Wir fordern deshalb unter anderem eine Überprüfung und Anpassung des Berufsauftrages für Lehrpersonen.
 
Ein Problem, auf das immer wieder hingewiesen wird: In den Nachbarkantonen Zug, Schwyz oder Aargau sind die Lehrerlöhne attraktiver. Ist der Kanton Luzern zu knausrig oder klotzen die anderen Kantone?
Der Lohn ist nur einer von vielen Faktoren. Eine Lehrperson muss sich am Arbeitsplatz wohlfühlen, er muss ein gutes Team um sich haben und sich wertgeschätzt fühlen. Auch das ist wichtig. Aber klar: Es gibt Nachbarkantone, die höhere Löhne zahlen. Es braucht auf jeden Fall mehr Wertschätzung.
 
Bleiben wir beim Salär: Springen die Lehrpersonen nach einer gewissen Zeit ab oder «starten» Sie schon gar nicht im Kanton Luzern?
Detailliert haben wir das nicht untersucht. Das kommt sehr darauf an, wo zum Beispiel jemand wohnt. Lebt er im Kanton Luzern nahe an der Grenze zu Zug, ist es realistischer, dass er im Kanton Zug eine neue Stelle antritt, als wenn er weit zu pendeln hätte. Es muss immer das Gesamtpaket stimmen.  
 
Die Schulleitungen verschiedener Gemeinden machen sich mit kreativen Videos auf die Suche nach Lehrpersonen – eine gute Möglichkeit?
Das liegt in der Kompetenz der Schulleitungen. Wir unterstützen alles, was gegen den Lehrpersonenmangel hilft, und begrüssen es, wenn die Schulleitungen dies auf kreative Art und Weise tun. Klar ist aber auch: Nur kreativ sein, löst das Problem nicht. Es braucht Anpassungen bei den Anstellungsbedingungen.   
 
Immer mehr Quereinsteiger ohne Ausbildung unterrichten in den Schulzimmern – leidet da nicht die Bildungsqualität darunter?
Doch, auf jeden Fall. Das ist eine der Sorgen, die wir haben. Es darf nicht sein, dass die Schülerinnen und Schüler für diesen Missstand büssen müssen. Das Bildungsniveau darf nicht sinken, sondern soll steigen. Und es kann nicht sein, dass der Eindruck erweckt wird, dass jedermann den Job als Lehrerin oder Lehrer ausführen kann.
 
Ein Blick in die Zukunft: Was passiert, wenn nicht alle offenen Stellen bis zum Schulbeginn besetzt werden können?
Diese Gefahr ist höher als in den letzten Jahren. Im schlimmsten Fall müssten Lektionen gestrichen werden. Ich hoffe, dass wir dieses Szenario möglichst verhindern können. Damit das nicht passiert, hat der Kanton eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich auch um das Problem des Lehrermangels kümmert. Leider können wir nicht ein Patentrezept aus der Schublade zücken und das Problem so lösen. Es ist weit komplexer und benötigt die Zusammenarbeit von vielen Beteiligten. Kanton und Gemeinden müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen wie Lohn und Weiterbildungsmöglichkeiten stimmen und wir müssen aufzeigen, warum der Lehrerberuf trotz allem noch immer ein toller Beruf ist.

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