«Uns brauchts leider auch in 40 Jahren noch»

Die Caritas Luzern wird dieses Jahr 40 Jahre alt. Der WB hat mit der ehemaligen Regierungsrätin und heutigen Caritas-Präsidentin Yvonne Schärli auf herausfordende Zeiten zurückgeschaut und einen Blick in die Zukunft gewagt.

Yvonne Schärli hat 2017 das Präsidium der Caritas Luzern übernommen. Nun sucht die Institution eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger. Foto: Stephan Weber
Stephan Weber

Was bedeutet das 40-Jahr-Jubiläum für Caritas Luzern?
Sehr viel. Die Caritas Luzern ist 1982 mit einer 50-Prozent-Stelle für Hilfsbedürftige gestartet, heute beschäftigen wir zirka 170 Mitarbeitende. Wir haben uns in diesen Jahren zu einem professionellen KMU entwickelt, welches einen wichtigen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt in diesem Kanton leistet. Darauf sind wir stolz und das freut uns.  
Trotz dem Geburtstag: Wir leben in struben Zeiten. In der Ukraine ist ein fürchterlicher Krieg im Gang. Trübt das die Freude?
In der Tat. Deshalb werden wir das Jubiläum sehr bescheiden feiern. Einerseits ist da der Krieg in der Ukraine, der alle sehr betroffen macht. Hätten wir bereits grosse Feierlichkeiten geplant, wir hätten diese wieder abgesagt. Es passt schlicht nicht. Zudem haben wir eine enorm schwierige finanzielle Phase hinter uns, wo wir auch Mitarbeitende entlassen mussten. Nun mit der grossen Kelle ein Jubiläumsfest anrichten: Das wollen wir nicht.

Was für Aktivitäten sind im Jubiläumsjahr denn nun geplant?
Wir werden im Herbst einen Tag der offenen Tür am neuen Hauptsitz an der Grossmatt in Littau-Luzern durchführen. Zudem läuft bereits jetzt und das ganze Jahr hindurch eine Jubiläumskampagne in den sozialen Medien. In dieser äussern sich Mitarbeitende, Teilnehmende, Freiwillige oder bekannte Persönlichkeiten, welche Geschichten sie mit der Caritas Luzern verbinden.

Die Caritas hat finanziell schwierige Zeiten hinter sich. Es kam zu Entlassungen, Läden und Gastrobetriebe wurden geschlossen, die ehemalige Geschäftsstelle an der Brünigstras­se aufgegeben: Wie geht es der Caritas Luzern heute?
Im Juni werden wir unseren Mitgliedern die Jahresrechnung präsentieren. Schon jetzt lässt sich sagen: Wir haben uns erholt und sind auf einem guten Weg. Nach diesen sehr schwierigen und intensiven Zeiten ist das sehr beruhigend.

Wie haben Sie diese Krise gemeistert?  
Mit Transparenz und einer breiten Zusammenarbeit innerhalb der Caritas Luzern. Wir haben nichts verheimlicht und immer offen kommuniziert, dass wir finanzielle Probleme haben und auch Mitarbeitende entlassen müssen. Zudem haben wir die Belegschaft mit Echoräumen ins Boot geholt. Sie wussten, wo die Probleme liegen und wie wir sie lösen wollen. Das hat verhindert, dass in der Öffentlichkeit grosse Unruhe aufgekommen ist. Zudem durften wir auf die Unterstützung von rund 200 Freiwilligen zählen: grossartig!
 
Finanzielle Schwierigkeiten, gefolgt von der Pandemie und dem Ukraine-Krieg. Das sind schwierige Zeiten für die Mitarbeitenden.
Ja, sehr. In solchen Zeiten lässt sich nicht jede zusätzliche Arbeitsstunde abrechnen. Die Caritas Luzern ist mit 170 Angestellten ein professioneller Dienstleistungsbetrieb. Heisst: Die Arbeiten sind anforderungsreich, die Qualität muss stimmen, die Aufträge müssen erfüllt werden. Wir unterschieden uns hier nicht von anderen KMUs. Was ich in diesen Zeiten gespürt habe: Die Caritas Luzern steht in der Krise zusammen. Das, gepaart mit dem Wissen, hier eine sinnstiftende Arbeit zu machen, hat geholfen. In solchen Zeiten zeigt sich: Entweder rauft man sich zusammen oder das Gefüge bröckelt auseinander.

Die Caritas Luzern ist als Verein organisiert. Ist diese Rechtsform noch zeitgemäss?
Ja, davon bin ich felsenfest überzeugt. Diese Rechtsform gehört zur DNA der Caritas Luzern und ist Teil ihres Erfolgs. Unsere rund 250 Vereinsmitglieder sind unsere Botschafterinnen und Botschafter. Sie identifizieren sich sehr stark mit der Institution. Wichtig ist, dass auch in der Geschäftsleitung und im Vorstand Leute mitarbeiten, welche diese Werte mittragen und vorleben.

"Wir werden das Jubiläum sehr bescheiden feiern"
Yvonne Schärli
Präsidentin Caritas-Luzern

Historisch ist nicht nur die Rechtsform, sondern auch die Herkunft. Die Caritas Luzern wurde einst als gemeinnütziger Verein als Teil der Diakonie der katholischen Kirche gegründet. Gilt das noch immer?
Wir sind ein katholisches Hilfswerk und bleiben das auch. Auch das gehört zu unserer DNA. Ebenso wie die soziale Integration, welche wir im Gegensatz zu anderen Hilfswerken anbieten. Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit mit den Diakonien in den Gemeinden und den Pastoralräumen. Eine Win-Win-­Situation für beide Seiten.

Gleichwohl: Jahrelang war das Präsidium der Caritas fest in CVP-Hand.
Das stimmt. Ich bin das erste SP-Mitglied, welches das Präsidium der Caritas Luzern innehat. Und übrigens: Geschäftsleiter Daniel Furrer ist ebenfalls SP-Mitglied und nicht katholisch. Die Caritas Luzern unterstützt Menschen unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft oder Parteigehörigkeit. Auch unsere Mitarbeitenden sind nicht alles Linke, wie es dann und wann noch immer zu hören ist. Nur ein Beispiel: Im Kanton Obwalden führt ein SVP-Mitglied die Caritas-Velodienste.

Seit 2017 hat der Kanton die Aufträge im Asyl- und Flüchtlingsbereich inne. Gibt es seitens der Caritas Bestrebungen, diese Mandate wieder zu übernehmen?
Der damalige Entscheid war sehr einschneidend. Die Zahl der Mitarbeitenden hatte sich auf einen Schlag fast halbiert. Als ich hier meine Arbeit aufnahm, sagte ich zu den Mitarbeitenden: Was passiert ist, ist passiert. Zurückschauen bringt nichts. Wichtig ist: Wir müssen präsent sein mit unseren Angeboten und ein gutes Verhältnis mit Kanton, Stadt und Gemeinde pflegen. Dazu wollen wir den Austausch mit der Regierung intensivieren. Die Verletzung von damals darf man zwar noch spüren, sie soll den Alltag aber nicht prägen.
 
Die Caritas Luzern wäre aber bereit, falls ein entsprechendes Angebot dereinst käme?
Wir wären innerhalb kurzer Zeit parat. Der Asylauftrag ist schliesslich noch immer eine unserer Kernkompetenzen. Wenn es zu öffentlichen Ausschreibungen kommt, nehmen wir daran teil.

Wie sieht die Caritas in 40 Jahren aus?
Leider, leider wird es uns auch in 40 ­Jahren noch brauchen. Im Kanton Luzern gibt es noch immer Leute an oder unter der Armutsgrenze. Flüchtlingsströme wird es in Zukunft wegen Kriegen oder aus Klimagründen noch immer geben, sie werden vielleicht gar zunehmen. So lange dies so ist, braucht es solche sozialen Institutionen wie die Caritas Luzern.

Wie soll sich die Caritas in den nächsten Jahren entwickeln?
Wir wollen wachsen. In der Zentralschweiz sehe ich Potenzial. Dort machen wir ja bereits den Dolmetschdienst. Und im Kanton Zug begleiten wir Familien, die ukrainische Schutzsuchende bei sich aufnehmen. Auch die Digitalisierung ist ein grosses Thema, das uns weiterhin stark beschäftigen wird. So wird unser Dolmetschdienst schon heute komplett digital abgehalten. Weitere Schritte sind angedacht. Unser Geschäftsführer Daniel Furrer hat die Digitalisierung zu einem seiner Schwerpunkte definiert. Das ist sehr gut. Wir wollen ja nicht als verstaubt und altmodisch gelten.
 
Wie sieht Ihre Zukunft bei der Caritas Luzern aus?
Ich habe 2017 das Amt von Anton Schwingruber übernommen. Während den vergangenen, sehr schwierigen Jahren habe ich dem Vorstand und der Geschäftsleitung immer wieder gesagt, dass ich erst gehe, wenn es der Caritas Luzern deutlich besser geht. Das ist nun der Fall. Der Vorstand schaut sich nach einer Nachfolge um. Das ist mein Wunsch. So lange bleibe ich noch sehr gerne.

Stephan Weber

«Wir sind da, wenn die Flüchtlinge ankommen»

Am 24. Februar ist in der Ukraine ein schlimmer Krieg ausgebrochen. Schildern Sie, was danach in den ersten Tagen bei der Caritas Luzern los war.
Wir haben gewusst, dass es zu Flüchtlingen kommen wird und diese auch in den Kanton Luzern kommen werden. So haben wir dem Kanton, der in dieser Angelegenheit den Lead hat sofort unsere Hilfe angeboten. Als Sofortmassnahme ergänzten wir den Dolmetschdienst mit Ukrainisch und Russisch. Zudem haben wir Armutsbetroffenen den Zugang zum vergünstigten Caritas-Markt geöffnet.

Die Soforthilfe in der Ukraine läuft nicht über die Caritas Luzern?  
Nein, das läuft über Caritas Schweiz. Diese haben in der Ukraine über 60 bestehende Sozialzenter, in welchem gegen 1000 Mitarbeitern Soforthilfe leisten. Sie schauen für sichere Schlafplätze, Essen, sauberes Trinkwasser und dass genügend Hygieneartikel vorhanden sind.

Was ist Ihr Auftrag als Caritas Luzern?
Die Caritas Luzern ist parat, wenn die Flüchtlinge in Luzern ankommen. Wir können auch Soforthilfe machen und Überbrückungshilfe leisten. Die bestehenden Angebote, die wir unabhängig vom Krieg in der Ukraine leisten, können wir den Schutzsuchenden aus der Ukraine auch anbieten: sei es bei der Wohnungssuche, beim Zügeln, bei der beruflichen Integration oder auch bei Deutschkursen.

Schweizweit ist eine grosse Solidarität zu spüren. Inwiefern spüren Sie das auch?
Es melden sich viele Freiwillige, die sich in irgendeiner Form engagieren wollen. Und auch punkto Spendengelder haben wir die Solidarität gespürt. Aber natürlich nie in dem Ausmass wie andere Hilfswerke, die vor Ort sind und Hilfe leisten können. Von diesem Bild gehen die Spenderin und der Spender ja zurecht auch aus: Das Geld wird vor Ort eingesetzt, also spenden sie Caritas Schweiz und nicht Caritas Luzern.

Hilfswerke leben gewissermassen von Katastrophen, weil dann die Spendengelder ansteigen. Ein etwas zynischer Umstand…
Das mag sein. Allerdings denkt in diesem Moment niemand an die Spendengelder, die in solchen Fällen üppiger fliessen oder an die steigende Zahl von Freiwilligen, die sich in den Programmen engagieren. Bei diesen schlimmen Ereignissen ist die Betroffenheit bei allen gross. Dann gilt es, den Flüchtlingen zu helfen, ihnen ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Essen, trinken, schlafen – einfache, elementare Sachen. Dem ist man als Hilfswerk verpflichtet. Je besser es den Schutzsuchenden geht, desto besser haben wir unsere Arbeit gemacht. Das ist entscheidend.

Gibt es wegen dem Ukraine-Krieg Angebote, die sie bei der Caritas Luzern nicht aufrecht erhalten können oder die wegfallen?
Nein, die berufliche Integration muss weiterlaufen. Den Flüchtlingen, die bereits hier sind, muss ebenso geholfen werden und Armutsbetroffene gibt es immer. Unser Betrieb läuft normal und engagiert weiter. Unsere Klientel gibt es, unabhängig vom Ukraine-Krieg. (swe)

Über 20 Jahre Politkarriere

Yvonne Schärli (70) ist gebürtige Stadtluzernerin und lebt seit 1984 in Ebikon. Sie ist verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern. Von 1991 bis 2003 sass Sie für die SP im damaligen Grossen Rat, heute Kantonsrat. Während sieben Jahren war sie Gemeinderätin von Ebikon und dort für das Ressort Umwelt, Energie und Sicherheit zuständig. Anschliessend gelang ihr der Sprung in den Luzerner Regierungsrat, wo sie das Justiz- und Sicherheitsdepartement führte. 2002 war sie Kantonsratspräsidentin und damit höchste Luzernerin, 2007 und 2012 Regierungspräsidentin. Vor ihrer Politkarriere arbeitete Yvonne Schärli als kaufmännische Angestellte, Betagtenbetreuerin und Tanz- und Gymnastiklehrerin.  (swe)

 

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