«Ostern ist das Fest des Lebens»

Mit klarer und zuversichtlicher Stimme berichtet Christian Meyer, Abt des Kosters Engelberg, engagiert von seinem Werdegang, seinem anspruchsvollen Amt, seinen Gedanken zur Kirche und zu Ostern, dem Fest des Lebens. Dieses Jahr feiert das Benediktinerkloster zusammen mit der Gemeinde Engelberg das 900-jährige Bestehen.

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Stefan Calivers


Was verbindet Sie noch heute mit Ihrer Heimatstadt Basel?
Es sind die Kindheitserinnerungen und die geschichtlichen Orte in der schönen Altstadt am Rhein, die mich immer wieder nach Basel ziehen. Gerne besuche ich dort auch meine zwei älteren Brüder mit ihren Familien.

In den Achtzigerjahren sagten Sie als Stiftsschüler im Kloster Engelberg zu einer Schwester: «Um Himmels willen, nie gehe ich in ein Kloster.» Warum traten Sie dann doch als Jüngster mit 21 Jahren in die Klostergemeinschaft ein?
Schon während der Internatszeit in Engelberg hatte ich hie und da damit geliebäugelt, in den Krankenpflegeorden der Kamillianer einzutreten. Nach dem ersten Studienjahr am Priesterseminar in Luzern hatte ich einfach keine innere Ruhe mehr. Ich musste das Klosterleben ausprobieren. Und was lag näher, als das Benediktinerkloster in Engelberg, das ich ja mit seinen Mönchen, den möglichen zukünftigen Mitbrüdern, gut kannte. Ich wusste, worauf ich mich einliess, und das war für mich entlastend.

1996 ernannte Sie Ihr Vorgänger Abt Berchtold Müller zum Pfarrer von Engelberg und später zum Novizenmeister. Am 8. Dezember 2010 wurden Sie zum 59. Abt des Klosters Engelberg geweiht. Weshalb wählten Sie als Motto den Wappenspruch von Papst Paul VI. «In nomine Domini» aus?
Auch der Ordensgründer Benedikt legt uns in seiner Regel nahe, vor schwierigen Herausforderungen und Gesprächen mit diesen Worten ein Gebet zu beginnen. Paul VI. war mit unserem Kloster sehr verbunden. Als er noch als Erzbischof von Mailand tätig gewesen war, verbrachte er oft seine Ferien hier bei uns in Engelberg und im Melchtal.

Inwiefern ist für Sie das Kloster und das Dorf Engelberg eine Art Schicksalsgemeinschaft?
Vor der Klostergründung von Konrad von Sellenbüren und dem ersten Abt Adelhelm im Jahr 1120 gab es hier oben keine ganzjährige Wohnstätte. Das Kloster und das Dorf sind seit 900 Jahren so eng miteinander verbunden, da sie miteinander Höhen und Tiefen durchlebt haben. Auch hat sich das Kloster immer wieder die Aufgabe gestellt, für die Dorfbevölkerung Arbeitsstellen zu schaffen und für eine ausreichende Ernährung zu sorgen. Ein gegenseitiges Miteinander und Füreinander bis heute.

Mit rund 100 Arbeitsplätzen ist das Benediktinerkloster der zweitgrösste Arbeitgeber von Engelberg. Welches sind dabei die grössten Herausforderungen?
À jour zu bleiben und genügend Einnahmen zu generieren, sind die grössten Herausforderungen. Die Betriebe auf einem guten Stand zu halten, trotz zunehmender Konkurrenz von Billiganbietern, und dennoch konkurrenzfähig zu bleiben, verlangt viel Einsatz und Qualitätsarbeit.

Das Kloster war in seiner 900-jährigen Geschichte auch lange ein Zentrum der Macht. Sind Sie froh, heutzutage neben dem anspruchsvollen Amt als Abt nicht noch wie früher gleichzeitig oberster Richter und Militärgeneral zu sein?
Natürlich bin ich sehr froh, dass ich neben der religiösen und wirtschaftlichen nicht noch die politische und richterliche Verantwortung habe.

Während Jahrhunderten war das Kloster eine überschaubare Gemeinschaft mit 11 bis 25 Mönchen, die immer mal wieder mit dem Überleben des Klosters zu kämpfen hatte. Wie steht es heute mit dem Nachwuchs und der Überalterung?
Das Durchschnittsalter der zwanzig Mönche beträgt 63 Jahre. Die Zeiten, als zwischen 1900 und 1950 jedes Jahr mehrere Maturaabgänger ins Kloster eingetreten sind, sind längst vorbei. Heute interessieren sich vornehmlich Männer im Alter von 30 bis 50 Jahren für das Klosterleben. In dieser Lebensphase mit eigenem Haushalt, vielfältigen Berufserfahrungen, einem grösseren Lebensrucksack ist es schwieriger, den Schritt zu wagen, beim Klostereintritt alles hinter sich zu lassen.

Um als Christen in einer zunehmend säkularisierten Welt zu bestehen, müsse sich die Kirche reformieren, sagte Papst Franziskus am 21. Dezember 2019 vor den Beamten des Vatikans. Wo sehen Sie den dringenden Reformbedarf?
Im ganzen Kirchenbild sehe ich den Reformbedarf. Unsere Kirche müsste die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965 umsetzen. Wir müssen von der Verwaltung des tridentinischen Kirchenbilds wegkommen. Wir sind in einem riesigen Defizit im Miteinander und Füreinander. Der neue Wein gehört halt in neue Schläuche und nicht in alte. Zwischen der Regel des heiligen Benedikts und dem Istzustand der Kirche liegen Welten. Obwohl der Abt in einem Benediktinerkloster eine herausragende Stellung hat, wird er durch die demokratischen Strukturen der Gemeinschaft zurückgebunden. Ein Fingerzeig fürs Kirchenbild von heute.

Mit Ihrer Meinung sind Sie nicht immer deckungsgleich mit derjenigen der Leitung unserer Kirche. Erachten Sie es als Aufgabe, wie die Klöster in früheren Zeiten, Wegbereiter für eine Kirche im Aufbruch zu sein?
Ich bin ein Mensch, der mit dem Herzen in der Tradition römisch-katholisch verwurzelt ist. Aber die Tradition kann nur leben, wenn sie immer wieder neue Impulse erhält. In der Kirchengeschichte hat es immer wieder starke und grosse Veränderungen gegeben, die teilweise von Klöstern und von Einzelpersonen ausgegangen sind. Wir im Kloster versuchen, nach dem Evangelium zu leben. Deshalb sind wir hier auch näher und geerdeter als manches Bistum, das einfach nur ein Verwaltungsapparat ist.

«Wo Menschen sind, tätschts und chlöpfts, auch wenn sie fromm sind», sagten Sie mit einem Augenzwinkern im Rückblick auf die Engelberger Klostergeschichte. Ist die Klosterwelt auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft?
Die Herausforderungen bleiben ja nicht vor den Klosterpforten stehen. Innerhalb des Klosters wird viel über den Glauben diskutiert. Die Meinungen gehen auseinander, was z. B. die stärkere Einbindung der Frauen in die kirchlichen Dienste betrifft. Was für ein Facelifting oder welchen Herzschrittmacher braucht das Herz der Mutter Kirche in der heutigen Zeit, dass es wirklich für alle Menschen schlägt, sind wichtige Fragen.

In seinen Klosterregeln hält der heilige Benedikt (480–547 n. Chr.) fest, in allem das richtige Mass zu halten und den andern höher als sich selbst zu achten. Kann ein Mensch diesen Vorgaben überhaupt entsprechen?
Ja, auf jeden Fall. Wir wissen ja, wann wir genügend gegessen und getrunken haben. Ich denke auch, die ganze Klimafrage müsste auf diesem Hintergrund diskutiert werden. Nur, wer möchte schon verzichten und sich auf das Lebensnotwendige beschränken? Die wichtigste Grundvoraussetzung für das gemeinschaftliche Leben ist aber die Wertschätzung des andern.

Wie weit fortgeschritten ist die Idee, neue Wohnformen für Menschen in der zweiten Lebenshälfte im Kloster zu schaffen, die einen spirituellen Rahmen suchen, ohne gleich dem Orden beizutreten?
Da ist unsere Gemeinschaft immer noch in der Diskussion, da es ja auch den innersten Wohnbereich der Mönche, die Klausur, betrifft.

Die Stiftsschule ist ohne Internat nicht lebensfähig. Gibt es eine grosse Nachfrage, intern die
Gymnasialzeit im Kloster Engelberg zu verbringen?

Gegenwärtig sind es 63 interne Schülerinnen und Schüler. Zu meiner Zeit, in den 1980er-Jahren, waren es noch 140. Viele Leute nehmen die Stiftsschule heutzutage leider gar nicht mehr wahr. Unser Bestreben ist es, den Campus Engelberg mit den drei Schulen unter dem Klosterdach (Stiftsschule, IOS Gemeindeschule Engelberg, Sportmittelschule) wieder bekannter zu machen. Unsere Jugendlichen schätzen die Stiftsschule und das Internat als eine Familie, wo man sich kennt und miteinander ein Ziel erreichen will. Sie atmen die Klosterluft ein, leben aber nicht in einem «frommen Bienenstock».

Weshalb haben Sie als Leitmotiv des Jubiläumsjahres die drei ersten Worte der Regel des heiligen Benedikts, «Höre, mein Sohn …», ausgewählt?
Es ist eigentlich das Hören, Suchen und Gestalten. Der Dreiklang unseres Jubiläums. Es ist klar, dass wir Worte aus der Regel des hl. Benedikts herausgesucht haben, die zu unserem Leben gehören. Wir müssen füreinander und miteinander hören und uns nicht verschliessen.

Wie zeigt sich der ­leitmotivische Dreiklang «Hören – Suchen – ­Gestalten» auch in Ihrem Leben?
Ich muss, wie es der hl. Benedikt sagt, als Abt den Mitbruder in seinen Eigenheiten wahrnehmen und versuchen, ihn auf seinem Weg als Mönch zu begleiten. Damit gestalte ich auch einen Teil seiner Geschichte, indem ich dem Mitbruder seine Freiheit lasse, aber versuche, ihn in die Klostergemeinschaft einzubinden. Das ist nicht immer einfach. So möchte ich auch das Bild der Kirche gestalten, damit sie lebendig bleibt.

In diesen Tagen wird des Todes und der Auferstehung Christi gedacht. Welche Bedeutung hat für Sie Ostern?
Ostern ist das Fest des Lebens. Betrachten wir mal das Wort LICHT, das in der Osternacht eine zentrale Bedeutung hat. In der Mitte des Wortes steht ICH, eingebettet ins L und T, ins Leben und den Tod. Zwischendurch bin ich und gestalte mein Leben. Ostern will mir immer wieder den Mut geben, das Leben sinnvoll und gut zu gestalten, dass es zum Licht werden kann für andere. Das ist für mich das Osterlicht.

Gerne gebe ich Ihre Gruss­botschaft zu Ostern an die Leserinnen und Leser des «Willisauer Bote» ­weiter ...:
Ostern öffnet unseren Blick über unsere menschlichen Grenzen hinaus in eine andere Lebenswelt. Sie sollte uns immer wieder Mut und Hoffnung geben, dass wir nicht stehen bleiben, sondern, dass wir uns immer wieder herausfordern lassen vom Heute und Jetzt. Im Hinblick darauf, dass wir alle eine Zukunft bei Gott haben werden. So ist Ostern das Fest des Lebens!

Interview: René Fuchs

* Das Gespräch mit Abt Christian wurde am 11. Februar 2020 geführt.

 

900 Jahre Kloster Engelberg
Das Benediktinerkloster Engelberg prägt seit der Gründung im Jahr 1120 die Geschichte des Hochtals. Als aufgeschlossene und weltoffene Institution hat es zur Entwicklung Engelbergs zum international bekannten Tourismusort einen wesentlichen Beitrag geleistet. Die heutigen Tätigkeiten der Mönche erwuchsen weitgehend aus den Bedürfnissen des Ortes: Seelsorge in der Pfarrei, Bildungsarbeit an der Stiftsschule mit eigenem Internat, Handwerks- und Dienstleistungsbetriebe. Aber auch die Kultur- und Landschaftspflege sind Bereiche, in denen sich die Mönche und die wachsende Zahl weltlicher Mitarbeiter des Klosters engagieren.

Aktuell leben 20 Mönche in Engelberg. Der Klosterbetrieb beschäftigt 96 Angestellte. 123 Schülerinnen und Schüler besuchen das Gymnasiums, 63 davon als Internatsschüler.

Mit seiner Geschichte steht das Benediktinerkloster Engelberg für beständige Werte. Für das Kloster ist das Jubiläum nicht nur eine Gelegenheit auf eine lange, bewegte Tradi­tion und Geschichte zurückzublicken, sondern auch den Blick ganz bewusst nach vorne zu richten. Aus diesem Grunde werden verschiedenste, über ein ganzes Jahr sich erstreckende, kirchliche, kulturelle und weltliche Aktivitäten stattfinden. So sind unter anderem die Gemeinden in den Kantonen Bern, Aargau, Zürich, Ob- und Nidwalden miteinbezogen, die in den vergangenen 900 Jahren mit dem Kloster über mehrere Jahrhunderte hinweg enge Beziehungen pflegten. rf

www.kloster-engelberg.ch

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