Caritas verliert Betreuungsauftrag

Der Kanton legt eine neue Strategie vor. Fortan will er Asylsuchende selber betreuen, bislang hatte er diese Aufgabe an die Caritas delegiert. Zudem sollen Asylsuchende nur noch in Zentren wohnen.

Foto WB-Archiv
Monika Wüest

von David Koller

 

Während rund 20 Jahren betreute die Caritas Luzern die hiesigen Asylsuchenden. Jetzt verliert sie diesen Auftrag. Denn neu will der Kanton der Aufgabe in Eigenregie nachkommen. Diese Änderung ist Bestandteil der Asylstrategie 2016, die Gesundheits- und Sozialdirektor Guido Graf am Mittwoch vorstellte. Das zweite Novum: Bislang arbeitete Luzern mit einem zweistufigen Modell. «Die ersten zwei bis sechs Monate verbringen neu ankommende Asylsuchende in einem kantonalen Zentrum», erklärte Graf. «Anschlies­send wechseln sie in eine Wohngemeinschaft oder Familienwohnung in einer Luzerner Gemeinde.» Neu wird ein mehrstufiges Zentrumskonzept umgesetzt. Dessen Ziel: Langfristig sollen Asylsuchende nicht mehr individuell in Wohnungen leben, sondern ausschliesslich in Zentren.

Die Reform ist eine Reaktion auf die Kritik des Kantonsrates an der Caritas. 2013 hatte das Parlament aus Wettbewerbsgründen gefordert, dass die Regierung den Betreuungsauftrag öffentlich ausschreibt. In diesem Kontext entschloss sich Guido Graf, das Asylwesen im Kanton grundlegend zu überdenken.

 

Kürzere Verfahren

Auch in Zukunft soll ausschliesslich der Kanton für Asylsuchende zuständig sein. «Aufgrund der Neustrukturierung auf Bundesebene wird sich deren Zahl in den Kantonen aber halbieren», erläuterte Graf. Zudem verkürze sich die Verfahrensdauer auf maximal sieben Monate. Deswegen will Luzern mittelfristig auf eine individuelle Unterbringung von Asylsuchenden in den Gemeinden verzichten. Dies aber auch, weil günstige Wohnungen derzeit ein knappes Gut sind.

Wie bisher sollen ankommende Asylsuchende in den ersten zwei bis sechs Monaten in einem Durchgangszentrum leben. Neu kommen Personen ohne abgeschlossenes Verfahren anschliessend aber in ein Aufenthaltszentrum, jene mit wenig Betreuungsbedarf in ein sogenanntes Minimalzentrum. In Letzteren gibt es nur während der Bürozeiten eine Aufsicht. Hier leben Personen, «die sich charakterlich dazu eignen», so der kantonale Asylkoordinator Ruedi Fahrni. Sprich: Unauffällige Asylsuchende. Um das mehrstufige Betreuungskonzept zu gewährleisten, baut Luzern seine Zentrumskapazität auf 400 bis 500 Plätze aus.

 

Kanton setzt Projekt Grosshof selber um

«Die angestrebte Kapazität erreichen wir mit den Zentren Grosshof, Emmen, Hirschpark Luzern und Fischbach», sagte Guido Graf. Auf Anfrage des WB ergänzte Ruedi Fahrni, der Standort in Fischbach sei als Minimalzentrum angedacht. Hier gilt es aber vorerst, den hängigen Entscheid des Bundesgerichtes abzuwarten.

Im Rahmen der Reorganisation wurde auch das laufende Bauprojekt «Asylzentrum Grosshof» neu beurteilt. Aufgrund von Verzögerungen im Baubewilligungsverfahren gilt das im Jahr 2012 durch die Regierung beschlossene Notrecht nicht mehr. Deswegen muss das Vorhaben den üblichen kreditrechtlichen Bewilligungsprozess im Kantonsrat sowie eine öffentliche Ausschreibung durchlaufen. «Die ursprünglichen Vorteile der Realisierung durch einen privaten Investor sind damit nicht mehr gegeben», so Guido Graf. Daher übernimmt der Kanton das Bauprojekt von der Genossenschaft Pandocheion. Die bisher aufgelaufenen Aufwendungen von 200 000 Franken entschädigt er ihr. Dies bedeute keinen Mehraufwand, sagte Graf. «Die Kosten wären auch dann angefallen, wenn wir das Projekt von Anfang an selber geführt hätten.» Das Zentrum Grosshof mit einer Sollkapazität von 120 Betten geht nach heutigem Wissensstand voraussichtlich Ende 2016 in Betrieb.

 

Caritas bedauert

Indem der Kanton Asylsuchende in Eigenregie betreut, könne er fortan flexibler auf Veränderungen reagieren, erklärte Guido Graf. Die Abkehr vom langjährigen Partner habe nichts mit der Qualität der erbrachten Dienstleistungen zu tun, betonte Ruedi Fahrni. «Die Angestellten der Caritas Luzern leisten sehr gute Arbeit.» Um das Betreuungsangebot selber zu gewährleisten, muss der Kanton 55 Personen engagieren. «Wir schreiben die Stellen aus», sagte Sozialdirektor Graf und fügte an, Mitarbeitende der Caritas sollten sich «unbedingt» bewerben. «Sie haben gute Chancen auf eine Anstellung.»

Die Caritas bedauert den Schritt des Kantons, über den sie am 2. April informiert wurde. «Das stellt uns vor eine grosse Herausforderung», hält sie in einer Medienmitteilung fest. Jetzt müsse sie einen «bedeutenden Abbau der Organisation und des Personals vornehmen». Man hoffe, dass der Kanton seine soziale Verantwortung wahrnehme und «möglichst viele der betroffenen Mitarbeitenden übernimmt». Deren Fachwissen und Erfahrung im Umgang mit Asylsuchenden könne bei der Erfüllung der Aufgaben von grossem Nutzen sein. Auch in Zukunft werde sich die Caritas Luzern für Menschen in Not und für deren Integration engagieren. Geschäftsleiter Thomas Thali: «Wir werden uns weiterhin für eine humane Betreuung der Asylsuchenden einsetzen, auch wenn wir keine direkte Verantwortung mehr für ihre Unterbringung und Betreuung haben.»

 

Langfristig grosse Herausforderungen

Per Ende März lebten 854 Asylsuchende im Kanton. Dessen Asylzentren sowie die Notunterkünfte in den Zivilschutzanlagen waren zu 70 Prozent ausgelastet. Die Regierung geht davon aus, dass die Kapazitäten bis Ende Sommer reichen. In diesem Zusammenhang richtete Guido Graf ein Kompliment an die Gemeinden: «Sie haben in der aktuellen Notlage grossartig kooperiert.»

Das am Mittwoch vorgestellte Asylkonzept mit einer Zentrumskapazität von 400 bis 500 Betten ist letztlich nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heis­sen Stein. Dann zumindest, wenn die Schweiz so viele Schutzsuchende aufnimmt, wie das die Präsidentin des Roten Kreuzes, Annemarie Huber-Hotz, jüngst forderte. In Anbetracht der derzeit rekordhohen Flüchtlingsbewegungen sprach sie davon, die Eidgenossenschaft solle 80 000 Menschen aufnehmen. «Für unseren Kanton würde das 4000 Personen bedeuten», rechnete Guido Graf vor. An anderer Stelle war die Rede von 50 000 Flüchtlingen, was für Luzern nach dem aktuellen Verteilschlüssel immer noch 2500 Personen hiesse.

Für solche Zahlen ist das Asylkonzept 2016 nicht ausgelegt. Indes seien sie noch zu wenig konkret, um sich darauf auszurichten, sagte Graf. Zudem fügte er an, als «einfacher Sozialdirektor des Kantons Luzerns» würde er sich ohnehin eine viel umfassendere Lösung wünschen: «Mit festen Verteilquoten für alle Länder Europas.»

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