Wenn ein Schlagzeuger Regie führt

Heimspiel für Amadeus Fries: Am Freitag spielt er als Teil der Band Sc'ööf am Jazz Festival Willisau. Seine Musik will Fries an «neue und unerforschte Orte» führen. Am Schlagzeug – und am Mischpult: In Kriens baut er ein Studio auf, in dem er künftig mit befreundeten Musikerinnen und Musikern Alben produzieren möchte.

Der Willisauer Schlagzeuger Amadeus Fries auf dem «Bell»-Areal in Kriens, wo er kürzlich einen neuen Proberaum mit Aufnahmestudio bezogen hat. Foto Ramon Juchli
Ramon Juchli

Ein Mittwochvormittag in Kriens. Der Willisauer Musiker Amadeus Fries lädt ein in das neu entstehende Musikhaus auf dem «Bell»-Areal. «Ruf mich am besten an, sobald du da bist», schreibt Fries. Vor dem angegebenen Standort angekommen wird klar, weshalb. Ein Maschendrahtzaun umgibt ein riesiges Areal von grauen Betonklötzen, leerstehenden Hallen, neu eingerichteten Werkstätten und vollgepackten Lagerräumen. Wo soll hier bloss ein Musiklokal stehen?

Erstmal durch den Hintereingang des Areals gelotst, geht es in einem der kleineren Gebäude die Treppe hoch. Und tatsächlich: Irgendwo klimpert ein Klavier. Eine Etage höher breitet sich das künftige Musikreich vor einem aus. Mit vier weiteren Musikerinnen und Musikern teilt er sich ein Stockwerk. Dieses diente einst als Sitzungszimmer, getauft auf den Namen «Krienseregg», auf die der Blick durchs Fenster fällt. Nun bietet sich hier der Platz für Proberäume, Ateliers und Studio. Platz, den Fries nutzt, um am Schlagzeug Ideen zu entwickeln, oder am Regiepult die Aufnahmen seiner Mitmusikerinnen und -musiker zu steuern.

«Ich suchte mir immer Räume, in denen ich mich ausleben kann», sagt Fries. Schon als Teenager nistete er sich in Luftschutzkellern in Willisau ein. Später suchte er sich seinen «Space» in Basel, wo er Jazz studierte. Als er danach nach Luzern zog, nistete er sich auch dort in einer neuen Wirkungsstätte ein. Zuletzt war dies ein Raum im Luzerner Maihof, in dem sich das Kollektiv «Club Dänemark» einquartierte. Dazu gehört auch die Band Sc'ööf, die nun am Jazz Festival Willisau auftritt (siehe Kasten).

Hörgewohnheiten herausfordern

Sc'ööf ist ein Quartett. Die Mitglieder sind die Luzerner Noah Arnold und Elio Amberg, beide Saxophon, der Surseer Gitarrist Christian Zemp und Amadeus Fries am Schlagzeug. Ihre Musik fordert Hörgewohnheiten heraus. Zuweilen klingt sie, als würden die vier ihre Instrumente gerade entzwei sägen. Das neuste Album «CDR003SA» enthält zwar gradlinige Beats, welche die Tracks vorwärtstreiben. Doch der Klang ist oftmals verzerrt, lärmig, unangenehm. Denn Fries wollte, dass es «brätscht». Dies ist gelungen: Beim Anhören der Aufnahmen in der eigenen Küche sei er bereits von einem Gast aufgefordert worden, «den Krach abzustellen». Warum macht man Musik, welche Leute vor den Kopf stösst?

In den Formationen Little Fellow und East Sister spielt Fries zugängliche Musik, die an Indie Rock, Folk oder 80er-Jahre-Pop angelehnt ist. Doch bei Sc'ööf liege der Fokus anderswo. «Wir versuchen, Formen zu brechen, uns nicht auf Normen zu beziehen, wir wollen uns von Mustern lösen, um an neue und unerforschte Orte zu gelangen.» Die Konstante dabei: Fries' Freude am Schlagzeugspiel und der enge Austausch mit den Mitmusikerinnen und Mitmusikern.

Den Zugang erleichtern

Dass ihr Sound nicht für alle bekömmlich klingt, sei sich Sc'ööf bewusst. Daher möchten sie insbesondere an Konzerten den Zugang zu diesem Hörerlebnis erleichtern. Wer etwas Anlaufzeit brauche, um sich mit solch «komplizierter Musik» anzufreunden, soll behutsam herangeführt werden. Dies versuche sowohl Sc'ööf als Band wie auch Club Dänemark als Veranstaltungskollektiv.

«Nischen-Zeugs an viele Leute bringen, ohne dass ein unangenehmes Gefühl entsteht»: Dies möchte Amadeus Fries erreichen, wenn er Events mitorganisiert. Doch wie soll das gehen? «Wir möchten Anlässe anbieten, die ganzheitlich funktionieren.» Das Publikum soll vom Einlass bis zum Ende der Veranstaltung durch die Programmpunkte geleitet werden. Beispielsweise musste an einigen Events das Smartphone an der Kasse abgegeben werden, die Veranstaltenden führten vom einen Programmpunkt zum nächsten. Bisher präsentierte Club Dänemark Lesungen, Performances, Tanz und natürlich Konzerte. Dies an zwei längeren Veranstaltungsreihen 2020 und 2021 sowie an der Premieren-Veranstaltung des Kollektivs 2019. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten die Veranstaltungen noch nicht wie gewünscht aufgezogen werden. Dank dem neu bezogenen Raum in Kriens soll sich dies ändern. Auf dem Bell-Areal gibt es einen Veranstaltungsraum, den verschiedene Parteien im Rahmen einer Zwischennutzung gemeinsam nutzen. «Wir freuen uns darauf, von diesen neuen Möglichkeiten profitieren zu können», sagt Amadeus Fries.

Amadeus Fries am Schlagzeug bei einem Konzert seiner Band Sc'ööf, die am Freitag am Jazz Festival auftritt. Foto Urs Leuenberger

Ein Konzert «konstruieren»

Bis kurz vor dem Konzert in Willisau beschäftigt sich Sc'ööf mit dem «Konstruieren» eines neuen Sets. Nachdem die Band lange mit dem 2020 erschienenen Debütalbum «Weaving Elephants» getourt hat, wollen sie am Jazz Festival auch neues Repertoire auf die Bühne bringen. Das Konzert sei für die Band «sehr bedeutsam». In der Entwicklung des neuen Sets biete es ein klares Ziel, auf das es sich hinzuarbeiten lohne.

Nach den Aufnahmen zum letzten Album wandte sich Sc'ööf neuen Veranstaltungskonzepten zu. An verschiedenen Orten experimentierten sie mit «3D-Sound», wobei das Publikum von allen Seiten (unterschiedlich) beschallt wird. Aus diesen Versuchen entstanden Beats, die das Rohmaterial für das neue Set bieten. Dieses erarbeitet das Quartett gemeinsam. Dabei behält Fries den Überblick übers grosse Ganze: «Ich beschäftige mich gerne mit dem Aufbau des Sets. Wie erzeugen wir Spannung? Wann passieren die Höhepunkte?» So entstehe ein «rundes» Set, das für sich allein stehen soll.

In die Produktion vertiefen

Auch in seinen weiteren Projekten East Sister und Little Fellow übernimmt Amadeus Fries die Rolle des Produzenten. Neu auch im Solo-Projekt der Luzerner Musikerin Lea Mathis alias Pet Owner, die mit Fries das Duo Little Fellow bildet. Für den 32-Jährigen ist diese Rolle kein Neuland. «Seit der Kanti Willisau habe ich immer wieder die Musik von Freundinnen und Freunden aufgenommen», erzählt Amadeus Fries. Aber bislang wollte er sich nie als Produzent oder Studiotechniker bezeichnen. «Ich sah es so: Ich bin Schlagzeuger, der halt auch noch aufnimmt.» Mit dem neu bezogenen Raum soll sich dies ändern können. Die Bedingungen dafür seien optimal. Die Regiekammer ist genug gross, die Aufnahmeräume sind abgeschirmt. Die Technik kann fix eingebaut werden. «Nun kann ich es mir vorstellen, mich in diese Arbeit noch mehr zu vertiefen und meinen Raum als Studio zu betreiben.» Mit festgelegten Konditionen, als kleines Unternehmen.

Neue Projekte starten

Zunächst hat Fries aber das Konzert am Jazz Festival im Blick. Eine Herzensangelegenheit für den Willisauer: Schon als Sechsjähriger stand er seinem Vater bei den Helfereinsätzen zur Seite. «Das Jazz Festival spielte und spielt eine wichtige Rolle. In meinem Erwachsenwerden und im kulturellen Leben von ganz Willisau.» Lange Jahre war er stets im Team dabei – gemeinsam mit seinen damaligen Kolleginnen und Kollegen von den Napfruuggern. Dieses Jazz-affine Umfeld in Willisau legte den Grundstein dafür, dass Fries die Musik als Leidenschaft und Beruf weiterverfolgte. Mit einem klaren Ziel. «Als ich nach der Matura aus Willisau wegzog, war ich mir sicher: Ich will Musiker werden.» Fries suchte sich stets eigene Projekte, in denen er sich kreativ ausleben kann. Mit «seinem eigenen Ding» nun ein Heimspiel in Willisau feiern zu können, mache ihn besonders stolz.

Weitere Konzerte mit Sc'ööf sind erst in einigen Monaten geplant. Aber Fries bleibe beschäftigt: mit den Aufnahmen für die eigenen drei Projekte. Und: «Es dürfen auch noch neue dazukommen.» Denn auf dem Hocker hinter dem Schlagzeug fühlt sich Fries längst wohl. Jetzt macht er es sich öfters auf dem Regiestuhl bequem.

Sc'ööf sind Christian Zemp (git, im Bild unten links), Noah Arnold (sax, links), Elio Amberg (sax, Mitte) und Amadeus Fries (dr, rechts). Foto Gregor Brändli

Das Konzert

Die Luzerner Band Sc’ööf forme «ihre eigene Klangsprache», schreibt das Jazz Festival auf seiner Webseite. «Durch ihre Vorliebe für fesselnde, repetitive Rhythmen und kuriose Arten von Grooves sowie eine exzessive Live-Energie wird ihre Musik zu einem körperlichen Erlebnis und einer reinen Freude.» Am Jazz Festival spielen sie am Freitag, 2. September, um 20 Uhr in der Festhalle.

pd/jur

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