Fünf Tage Jazz und darüber hinaus

Das Jazz Festival Willisau hat auch dieses Jahr Musik ermöglicht, die nicht alltäglich ist. Es fehlten weder die seltenen Highlights noch jene zwei, drei Konzerte, die zu ganz unterschiedlichen Meinungen führten. «Ein grandioses Gesamterlebnis», kommentierte Festivalleiter Arno Troxler die 45. Ausgabe. Der Rückblick von Musikkritiker Pirmin Bossart.

Das Duo Chad Taylor (links) von James Brandon Lewis setzt eine besonderen Schlusspunkt hinter die 45. Auflage. Foto Marcel Meier
Norbert Bossart

Das erste und das letzte Konzert am Jazz Festival Willisau haben eine schöne Klammer gebildet: Hier die an Ornette Coleman angelehnte Musik von Joshua Redman «Still Dreaming», dort die von John Coltrane inspirierten energetischen Kaskaden und Balladen des Duos James Brandon Lewis & Chad Taylor. Die Tradition des einst zeitgenössischen Black Jazz leuchtet an diesem Finale auf, während sich an den Abenden dazwischen kompositorische, repetitive, volksmusikalische, abstrakte, frei improvisatorische und theatralische Konzepte und Spielweisen kreuzen.

 

Vibes aus dem globalen Amerika

Als Höhepunkte dürfen die Konzerte von Makaya McCraven und «Irrestistible Entanglements» hervorgestrichen werden. Der auch an Hip-Hop erprobte Schlagzeuger Makaya McCraven liefert mit seiner coolen Band ein astreines Jazz-Set, das mit solistischen Überflügen gepowert wurde. McCraven ist ein Kraftbolzen ohne Allüren. Mit treibenden Beats und polyrhythmischer Glut ist er dringlich präsent, und die Band folgt ihm. Den erfrischenden Vibe, der in dieser Musik zu spüren ist, haben die Amerikaner einfach besser drauf als die experimentierfreudig-beflissenen Europäer.

Ein Vibe der düsteren Art durchwirkt das Brooklyn Kollektiv «Irrestistible Entanglements» mit der Spoken--Word-Poetin Camea Ayewa. Ihre Performance ist ein unmissverständliches Statement und erzeugt ein Gefühl zwischen Abwehr und Beklemmung. «The world is on fire»: In diese heutige Befindlichkeit inkarniert sich der alte Free Jazz mit neuer Energie. Formal und klanglich weniger radikal, entfachen Trompete und Saxofon, gepulst von einem unerschütterlichen Bass, über eine gute Stunde einen durchgehenden Pegel an gleichbleibender Intensität.

Die Spoken-Word-Frau zieht in ihren Texten den Bogen vom brennenden Amazonas-Urwald bis zum Rassismus und der Gewalt, unter denen die schwarze Bevölkerung seit Jahrhunderten leidet. «How far we have to go… They say freedom is just down the road.» Viel Wut und Pathos schwingen in der Performance mit, aber zunehmend auch Trauer und Verzweiflung.

Da sitzt man, als weisser Mann, gebeutelt von den Schrecken der Welt und torpediert von einer Musik, die sich in insistierender Vehemenz in die Magengruben der Wohlgenährten bohrt. Ein dringliches und ungemütliches Konzert. Etwas pathetisch, aber notwendig. Und relevanter als vieles andere Gebrösel, das man sich im Durst nach Neuem so auf die Zuckerbrote streut.

Vula Viel sind danach einfach zu viel. Das Trio aus London klöppelt sich durch ein Repertoire aus perkussiven Afro-Versatzstücken und Indie-Pop-Stimmungen. Das Gyil (westafrikanische Xylofon) klingt wie eine Mischung aus Hang und Balafon und lässt einem ermüden. Sympathische Musiker und viel Leidenschaft am Werk, aber die Musik erinnert an Kunsthandwerk aus dem urbanen Fair-Trade-Shop. Man sehnt sich nach Aktion, Einspruch, Jazz. Aber was bliebe vom Jazz Festival Willisau, wenn es die Ohren nicht mehr für Anderes öffnen oder Erwartungshaltungen nicht mehr brüskieren würde?

Gerald Cleaver. Foto Marcel Meier

Neue Musik aus der Schweiz

Mr. Schütz & The Paradox: Der Bieler Cellist Martin Schütz ist flankiert von einer Handvoll Musikern mit Posaune, Schlagzeug, Bass und Farfisa/Drummachine. Er streicht auf dem Cello finstere Töne und rezitiert aus philosophisch-literarischen Texten. Manchmal kommt die Band in die schweren Rock-Riff-Gebiete, oder findet sich im Dub-Reggae-Groove wieder. Im Wesentlichen liefert sie einen atmosphärischen Soundtrack für den Sprechgesang, mit dem Mr. Schütz sein theatralisches Musik-Format grundiert. Man kann diese Band-Konstellation als Orchestrierung seiner Song-Präsenz sehen, die Schütz hier konzeptionell markiert und austestet. Man kann es aber auch als schade empfinden, dass die Musiker kaum je mit eigenen Einwürfen aus dem Schatten treten, sondern sich in den linearen Erzählfluss des Protagonisten einordnen. Das Format ist gut und hat Potenzial, aber das «Paradox» verdiente es, entweder sublimer in die Tiefen zu steigen oder noch krasser ausgeleuchtet zu werden.

Die Schweizer Überraschung am Festival ist das Quartett des Luzerner Saxofonisten Elio Amberg. Der Musik liegen ein paar grobe Improvisationskonzepte zugrunde. Umso erstaunlicher, wie minutiös und handfest aus musikalischen Pixeln, Phrasen und repetitiven Formeln ein schlüssiger Gesamtsound wächst. Es ist eine bravouröse Kollektivleistung, in die Amberg seine Konsequenz, Bassist Silvan Jeger sein Rotieren, Schlagzeuger David Meier seine Reduktion und Hanspeter Pfammatter seine Musikalität einbringen. Das schweizerisch-ägyptische Ala Fekra Project wird fast ein Publikumsliebling. Die Zuger Akkordeonistin Patricia Draeger, eine herausragende Instrumentalistin, initiierte nach ihrem Atelier-Aufenthalt in Kairo mit zwei Ägyptern (Qanun, Violine) und einem gut besetzten Schweizer Kammerjazz-Trio ein West/Orient-Austauschprojekt. Auf der Willisau-Bühne wird ein lustvolles Programm gespielt. Tänzerische und liedhafte Kompositionen, erneuerte Volksmusik, ein bisschen Jazz und auch Salonmusik. Da kommen ein gereiftes Projekt und ein neugieriges Publikum gut zusammen.

Auf gewohnt hohem Niveau intoniert das Trio der Zürcher Pianistin Gabriela Friedli einen Brain-Cocktail aus zeitgenössischer E-Musik und Improvisation. Bemerkenswert, wie wach die drei Virtuosen ihre Kunstmusik-Partitur aus Mikro-Strukturen, jähen Einwürfen und überraschenden Zusammenklängen zum Oszillierten bringen.

Das schweizerisch-amerikanische Quartett Wiesendanger/Svosve/Hébert/Cleaver kommt hingegen mit seinen elegisch angehauchten Kompositionen nicht richtig in Fahrt. Oder wir haben zu wenig gelernt, sie zu spüren. Bei Co Streiff hingegen spüren wir etwas. Sie steht alleine auf der Rathausbühne und bläst Saxofon. Mit einem klaren Sound entwickelt sie melodiöse Entwürfe, die einen Raum und eine Richtung haben. Emotional, aber unsentimental. Die seit 40 Jahren aktive Musikerin vermittelt eine Gelassenheit für das, was war und was sie mitgeprägt hat. 

Die junge Perkussionistin Camille Emaille hingegen ist mitten in einer Karriere, die noch sehr jung ist. Sie weidet einen Tag später mit freiem Geist den Klang-Space ihres Instrumentariums aus. Ihre Dramaturgie der rhythmischen Klänge gaukelt und blitzt intuitiv, oft mehr in die Breite als in die Tiefe. Als musikalische Partnerin kann sie die Musik enorm bereichern. Als Solistin ist sie noch auf offenem Feld.

Camille Emaille. Foto Marcel Meier

Radikaler Konzertort Late Spot

Toll programmiert sind die beiden Mitternachtskonzerte im Late Spot. «Tanche» aus Luzern gewinnen den Pokal der radikalsten Band des Festivals. Sie crossovern mit Hardcore, Noise, Space und Elektronik, setzen auf Risiko, improvisieren und rotieren und manchmal brechen sie durch. Fokussierter und auch unterhaltsamer spielen «Ester Poly». Die trashigen Songs von Béatrice Graf (Drums) und Martina Berther (Bass, Electronics) sind so deftig wie charmant und gefallen mit ihren parolenhaften Gender-Texten. Da sind Leichtigkeit, Unverfrorenheit und vor allem jede Menge Lust am Sound.

Sonntagmittag, backstage. Festivalleiter Arno Troxler ist zufrieden. Er strahlt fast ein wenig. Sein Konzept der Vielfalt ist bis jetzt aufgegangen. «Es braucht Kontraste. Nur lauter Joshua Redmans zu programmieren, würde das Gesamterlebnis schmälern.» Die Kontraste verlängern sich bis ins Untergeschoss. Auf den Toiletten groovt Ländlermusik aus den Boxen.

Pirmin Bossart

Marquis Hill. Foto Marcel Meier

Willisau erneuert sich

«Es braucht eine musikalische Wellenbewegung mit Kontrasten, um das Festival interessant zu halten», kommentierte Festivalleiter Arno Troxler die diesjährige Ausgabe. Ein grosser Publikumsaufmarsch an den Konzerten, viel Volk auf dem Gelände und im Zelt, super Stimmung, alle Leute gut drauf: «Für mich war das Gesamterlebnis grandios.» Troxler ist sich bewusst, dass er mit einzelnen Acts das Publikum auch herausforderte. «Aber das gibt es immer, das war schon früher so. Das Musikerlebnis ist sehr subjektiv und lässt sich nicht für alle gleich kalkulieren. Doch auch dieses Jahr gab es diese Konzerte, bei denen die Energie der Band und des Publikums total in Einklang kamen.» Langsam beginnt das Festival auch bei der jungen Generation Früchte zu tragen – mit starker Betonung von lokalen Kräften. Mit dem Late Spot hat Troxler einen Festivalort kreiert, der neuerdings vollumfänglich von jungen Leuten aus dem Umfeld von «Aktion Kultur Willisau» (AKW) organisiert und gemanagt wird. Inzwischen sind einige von diesen selber als Musiker tätig – und stehen in Willisau auf der Mitternachts-Bühne. So spielten Freitagnacht Jonas Albrecht und Elischa Heller, die mit der Band «Tanche» den wohl experimentierfreudigsten Sound des Festivals zelebrierten. «Es sind Leute, die sich auch als Helfer engagieren und sich in der jungen Szene auskennen.» So kann sich das Festival fortlaufend erneuern und produziert auch eine neue Generation von Musikerinnen und Musikern. Das war, auf das Lokale heruntergebrochen, auch die Message von James Brandon Lewis, als er am Schluss des Festivals ins Publikum rief: «What an awesome festival. Keep the legacy alive!»

Pirmin Bossart

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