Nachruf

11. Januar 2018

Werner Fenn-Frank

Nebikon

Werner Fenn erblickte das Licht der Welt am 3. November 1932 in Plessow (Deutschland). Sein Vater Franz war Schmiedemeister mit eigenem Geschäft. Seine Mutter Gertrud mit Schweizer Wurzeln verlor ihre Staatsbürgerschaft durch die Heirat. 

Mitten ins stürmische Vorkriegsdeutschland hineingeboren, musste Werner alsbald erleben, wie Vater Franz in den Wehrdienst eingezogen wurde. Mutter Gertrud kümmerte sich um die drei Kinder und führte die Landwirtschaft. Dabei wurde sie von ihrem Vater, den aus dem Emmental eingewanderten Karl Schlüchter, tatkräftig unterstützt. Diesem war es auch zu verdanken, dass Viehzucht, Obst- und Gemüsebau gute Erträge brachten. Die landwirtschaftlichen Produkte fanden in der nahen Grossstadt guten Absatz. Vieles wurde auch an weniger Begüterte verschenkt. Oft waren verwaiste und ausgehungerte Schulkinder Gast am Mittagstisch.

Auf dem grossen Landgut musste der junge Werner schon früh mithelfen. Mit viel Eifer betreute er Kühe, Pferde, Schafe, Ziegen, Hühner und Kaninchen. Auch im Obst- und Gartenbau konnte er erste Erfahrungen sammeln. Ein einschneidendes Erlebnis war der Unfalltod seines jüngeren Bruders Kurt. Dieser wurde auf der Dorfstrasse von einem Panzer überfahren. Nach Kriegsende und nach kurzer russischer Gefangenschaft kehrte Vater Franz nach Hause zurück und nahm seine Schmiedetätigkeit wieder auf. Sohn Werner wollte das gleiche Handwerk erlernen und wurde im väterlichen Betrieb zum Huf- und Kunstschmied ausgebildet. Er übte diese körperlich anstrengende Tätigkeit mit Interesse und Freude aus.

Die politische Situation im inzwischen geteilten Deutschland war nicht ganz einfach. Werner fühlte sich zunehmend unwohler und so war es nur folgerichtig, dass er bald Reisepläne schmiedete. Es lockte der Westen und dort vor allem die Heimat des verehrten und geliebten Grossvaters. Eine normale Ausreise war unmöglich und eine Flucht war mit grossen Risiken verbunden. Still und heimlich wurde geplant und organisiert. Eingeweiht waren nur Eltern und Grosseltern. Diese waren verständlicherweise in grosser Sorge. Der kühne Plan gelang, Werner landete in Heidelberg und bald darauf in der Schweiz. Ein Stelleninserat im «Gelben Heftli» führte ihn nach Nebikon in die Dorfschmiede von Willi Hasler.

Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, dass dieses Arbeitsverhältnis über Jahrzehnte anhalten und erst mit dem Tod des Firmeninhabers enden würde. In Nebikon war gerade eine Brunnengenossenschaft gegründet worden. Alte Wasserrohre, die zum Teil noch aus Holz bestanden, sollten durch gusseiserne ersetzt werden. Die Firma Hasler wurde mit diesen Arbeiten betraut. Willi und Werner arbeiteten Hand in Hand, bald kannten sie die Nebiker Wasserversorgung wie ihre eigene Hosentasche. 

In der kargen Freizeit fand Werner schnell Freunde. Er beteiligte sich an den Übungen der SLRG, spielte Schach im Kafistübli Kaufmann und machte Touren mit dem Wanderverein. Sein allergrösstes Anliegen aber war, so schnell wie möglich das Geburtshaus seines Grossvaters im Emmental ausfindig zu machen. Mit Ausdauer und etwas detektivischem Geschick fand er den Weg nach Röthenbach und Würzbrunnen, wo er in den Kirchenbüchern Eintragungen über Taufe und Konfirmation seines Grossvaters lesen konnte. 

In den Nachkriegsjahren suchten viele junge Menschen aus dem kriegsversehrten Deutschland Arbeit in der Schweiz. Zu ihnen gehörte auch die neunzehnjährige Helga Frank. Sie hatte das zerbombte Stuttgart hinter sich gelassen und fand im Restaurant Adler Beschäftigung. Bald wurde Werner auf die junge Köchin aufmerksam. Man lernte sich näher kennen und im Jahre 1956 wurde geheiratet. In den folgenden Jahren kamen die drei Kinder Erika, Ruth und Werner zur Welt. Nun wurde es Zeit für ein nächstes grosses Ziel, ein Eigenheim. Die finanziellen Mittel waren begrenzt, mit Fleiss, Sparsamkeit und mit handwerklichem Geschick entstand 1965 ein Einfamilienhaus im Oberdorf. Nun konnte Werner endlich damit beginnen, seine «Landwirtschaft» aufzubauen. Er legte einen grossen Gemüsegarten an, pflanzte Obstbäume und Beerensträucher und baute Ställe für Kaninchen und Hühner. Die Erträge konnten sich sehen lassen und es machte ihm grosse Freude, seine Ernteüberschüsse an Freunde und Bekannte zu verschenken. Werner war ein unermüdlicher Schaffer. Neben seiner Arbeit betreute er Garten und Tiere, schlachtete Kaninchen und erledigte Unterhalts- und Ausbauarbeiten am Haus. Oft hämmerte, sägte und schweisste er in der Kellerwerkstatt bis tief in die Nacht. Es entstanden Gebrauchsgegenstände, Möbel, Spielsachen für die Kinder und vieles mehr.

In der knapp bemessenen Freizeit standen Wanderungen und Ausflüge mit der Familie auf dem Programm. Bevorzugte Ziele waren der Napf, die Schratten, die Melchsee-Frutt und das Tessin. So manches Mal war der VW-Käfer auf der Heimfahrt mit Kesseln voller Heidelbeeren beladen. Diese Sonntagsausflüge, oft war auch die befreundete Familie Bucher dabei, brachten Freude und Erholung in den anstrengenden Arbeitsalltag.

Werner fühlte sich in seiner neuen Heimat sehr wohl, die Verbindung mit Eltern und Geschwistern brach aber nie ab. So oft es möglich war, füllte er den Wagen mit allerlei Schweizer Köstlichkeiten und besuchte seine Familie in Plessow. Die politische Situation vor dem Mauerfall war nicht immer ganz einfach und es galt, viele Bestimmungen und Vorschriften zu beachten. Wie Werner seine Mitbringsel jeweils über die Grenze gebracht hat, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. Besondere Höhepunkte waren die Besuche seiner Mutter in der Schweiz. Voller Stolz zeigte er ihr die schönsten Ecken seiner neuen Heimat. 

Mit den Jahren zogen die Kinder aus und gründeten eigene Familien. Bald stellten sich auch die sehnlichst erwarteten Enkelkinder ein. Werner war in seinem Element, revidierte die alte Gartenschaukel und bastelte an neuem Spielzeug herum. Mit viel Freude führte er die Enkel in die Gartenarbeit ein und fütterte mit ihnen Kaninchen und Hühner.

Mit der Pensionierung begann ein neuer Lebensabschnitt. Es gab immer noch mehr als genug Arbeit in Garten und Stall, es fand sich aber auch Zeit für neue Hobbys. Eines davon war das Reisen. Einer ersten Carfahrt mit Helga zum Nordkap folgten weitere Touren in verschiedene europäische Länder. Werner war unglaublich neugierig und bereitete sich mit Atlas und Lexikon akribisch auf seine Touren vor. Mit der letzten grossen Reise, zusammen mit seinem Freund Gerd, erfüllte er sich einen lang gehegten Wunsch: Eine Fahrt mit dem norwegischen Postschiff, der legendären Hurtigruten.

In den letzten Jahren mutierte der im Sternzeichen Skorpion Geborene zum Fisch. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht im Hallenbad Willisau seine Kilometer schwamm. Er knüpfte schnell Kontakt zu verschieden Menschen und so kam es, dass ein Journalist auf ihn aufmerksam wurde. Viele Leser des Willisauer Boten staunten, als er in einer ganzseitigen Reportage zum Sauerkraut-Papst ernannt wurde. Das Sauerkrauteinstampfen war seit seiner Kindheit eine grosse Leidenschaft. Er hatte bereits in den Achtzigerjahren einen Chabis-Klub gegründet.

Werner war eine starke Persönlichkeit. Seine Güte und Grosszügigkeit lernten all jene kennen, die seine Erwartungen erfüllten. Bei den anderen konnte er schon mal deutlich werden und stur reagieren. Er diskutierte sehr gerne über politische und philosophische Themen. Er war ein unabhängiger Geist und liess sich von einer einmal gefassten Meinung nur selten abbringen. 

Die ersten Anzeichen der Krankheit behielt Werner lange für sich. Er klagte nie und versuchte die Schmerzen mit täglichem Schwimmen zu bekämpfen. Es machte ihn aber oft traurig, dass er immer mehr Unterstützung brauchte. Besonders hart war für ihn, dass er seine Kaninchen und Hühner schlachten musste und auch im Garten nur noch mit viel Mühe pflanzen und ernten konnte. Mehrere Spitalaufenthalte wurden nötig, aber Werner kämpfte sich immer wieder zurück. Dankbar nahm er die Unterstützung von Helga und von Tochter Erika an. Er kämpfte oft mit starken Schmerzen, blieb aber immer Optimist. Mit bewundernswerter Haltung akzeptierte er, dass immer weniger möglich war. Er wollte sich aber durch nichts unterkriegen lassen und setzte sich Ziele, die er noch erreichen wollte. 

Die letzten Wochen waren für Werner ein körperlicher und emotionaler Leidensweg. Die Krebserkrankung schritt immer weiter fort und die Schmerzen wurden zeitweise fast unerträglich. Mit enormem Willen und grosser Leidensbereitschaft kämpfte er bis zum Schluss. Sein letzter Wunsch, zu Hause von der Welt Abschied zu nehmen, ging leider nicht mehr in Erfüllung.

Ein starker und unabhängiger Mensch ist nicht mehr. Wir vermissen ihn.

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