Nachruf

30. Januar 2020

Stephan Vonesch-Hunkeler

Pfaffnau

Stephan Vonesch, unser «Bäbu», wie wir ihn in den letzten Jahren nannten, erblickte am 25. April 1923 in Roggliswil das Licht der Welt.


Zusammen mit sieben Geschwistern, vier Knaben und drei Mädchen, wuchs er auf dem elterlichen Bauernhof im Niederwil auf.


Sechs Jahre besuchte er die Primarschule in Roggliswil und 1½ Jahre lang die Sekundarschule in Pfaffnau.


Gemäss seiner eigenen Aussage, sei er ein einigermassen guter Schüler gewesen, mit einem grossen Wissensdurst, sei aber auch skeptisch gewesen und habe alles mit «warum» hinterfragt.


Alle acht Kinder sind von ihren Eltern streng religiös und zum Arbeiten erzogen worden. Am 4. April 1938 (er wusste bis zuletzt jedes wichtige Datum ganz genau) schloss er als knapp 15-Jähriger die obligatorische Schulzeit ab. Zu Hause befand sich gerade die Scheune im Umbau. So hiess es zu Hause helfen, anstelle eine Lehre in der Fremde anzutreten. Nebst dem kleinen Landwirtschaftsbetrieb führte sein Vater eine Sägerei als Nebenbetrieb.


Am 1. September 1939 brach der 2. Weltkrieg aus. Das bedeutete, dass alle Männer und Pferde an die Front berufen wurden und die Besorgung der Bauernhöfe im Dorf den Jugendlichen unter 20 Jahren übertragen wurde. Unserem Bäbu wurde der Hof Steiner im Loch, Roggliswil, mit 15 Kühen zugeteilt, die allesamt von Hand gemolken werden mussten. Das Schlimmste sei jedoch das Eingrasen gewesen, alles von Hand mähen und die Kühe, in Ermangelung von Pferden, den Wagen ziehen lernen.


Im Jahr 1942 wurde der Plan «Wahlen» eingeführt. Das hiess in Roggliswil und Umgebung mussten 60% der Landflächen geackert und bepflanzt werden. Bäbu musste mit vier Kühen tagelang das Land umpflügen. Diese Arbeit war so mühsam, dass sie zu einem Schlüsselerlebnis für ihn wurde. Die Erkenntnis, einst aus seinem Leben etwas Besseres machen zu wollen, als tagelang an «Chüegrende umezrisse», wie er es ausdrückte, prägte ihn für sein ganzes Leben. Er beschloss, eine Sägerlehre zu absolvieren, welche er mit Diplom abschloss. In den Jahren 1943 und 1944 herrschte immer noch der Zweite Weltkrieg. Bäbu diente rund 400 Tage im Militär.


Als am 20. Oktober 1944 die Liegenschaft Josef Erni im Niederwil (s'Lonzlis) komplett niederbrannte, konnte unser Vater den Auftrag zum Sagen des Holzes für den Wiederaufbau von Haus und Scheune gewinnen. Dieser grosse Auftrag war der Steilpass zur Gründung der Firma Melchior Vonesch und Söhne, Sägerei und Holzhandel, Roggliswil.


Im Jahr 1957 machte sich unser Vater mit einer eigenen Firma selbständig, baute ein Zweifamilienhaus und heiratete Alice Hunkeler von der Nuttelen, Pfaffnau. Innerhalb von sechs Jahren kamen vier gesunde Kinder zur Welt. Mit der Zeit wuchs die Familie um 12 Grosskinder und bis heute sind bereits acht Urgrosskinder hinzugekommen. Die Familie bedeutete Bäbu viel und unser Mueti war ihm dabei die wichtigste Stütze. Sie betreute Haus und Garten und das Geschäftstelefon, zog uns Kinder gross und hielt unserem Vater so den Rücken frei für seine vielfältigen Aufgaben und Interessen. Alice war der Eckstein im Fundament des geschäftlichen und privaten Erfolgs der beiden.


Die familiären Zusammenkünfte sind unserem Bäbu immer ein grosses Anliegen gewesen. So wurde Weihnachten immer zusammen gefeiert und im Frühling traf sich die Grossfamilie mit Schwagern, Schwägerinnen und vielen Verwandten bei fast jeder Witterung im Wald um Ostern zu feiern. Da kochte Bäbu dann das berühmte «Voguheu», auf offenem Feuer mit einer grossen, alten Pfanne. Bis jeweils alle satt waren, wurden jedes Jahr um die 100 Eier aufgeschlagen. Und natürlich Bäbu's Rezept dazu: Zuerst braucht es eine rechte Portion ausgelassene Butter, welche rauchheiss sein muss, dann genau neun Eier und auf jedes Ei kommt eine Prise Salz. Das werden wir nie vergessen.


Seine Geschäftstätigkeiten
Die Sägerei, welche nach Möglichkeiten immer wieder modernisiert wurde, betrieb Bäbu zusammen mit seinem treuen Mitarbeiter Moritz Brunner rund 29 Jahre lang. Auch die Lehrlingsausbildung war unserem Vater ein wichtiges Anliegen. Insgesamt 7 junge Burschen bildete er zu Sägern aus.


Im Jahr 1957 entdeckte Bäbu den Handel mit Deckästen. Nach spärlichem Anfang entwickelte sich dieses saisonale Geschäft immer besser und in den 1980er-Jahren konnte in der kurzen Zeit zwischen dem Wintereinbruch und Weihnachten ein wichtiger Bestandteil des Jahresumsatzes generiert werden. Neben dem Sägereibetrieb handelte Bäbu mit Holz. Dieses Geschäft konnte er stark ausbauen in Jahren mit Wetterkapriolen wie Stürme oder Schneedruck. Das war mit zum Teil grossen Risiken verbunden, da für das viele eingekaufte Holz auch wieder Abnehmer gefunden werden mussten.


Ab dem 85. Altersjahr wollte Bäbu das Holzhandeln einstellen, aber «de Vonesch» war nach über 60 Jahren Geschäftstätigkeit bekannt wie ein roter Hund, wie er schmunzelnd zum Besten gab. Immer wieder läutete das Telefon und es wurde ihm eine Partie Holz oder auch nur ein einzelner Kirschbaumstamm zum Kauf angeboten. So führte Bäbu den Handel letztlich weiter bis zum 92. Altersjahr.


Ab 1978 begannen harte Zeiten für das Sägereigewerbe. Mancher Betrieb kam in finanzielle Schieflage, was auch bei unserem Vater zu Verlusten führte. Mit der Absicht seine Verluste zu minimieren, beteiligte er sich über die Jahre an mehreren Sägereien in Glashütten, Zell, Sonvillier und in Schangnau.


Im Jahr 1981 zügelte die Familie nach Pfaffnau in ein neues, schmuckes Haus. Die Sägerei in Roggliswil wurde abgerissen und das bisherige Wohnhaus und das Land verkauft.


Öffentliche Tätigkeiten
Unser Vater war nebst seinen zeitintensiven Geschäftstätigkeiten sein Leben lang in verschiedenen Vereinen und öffentlichen Ämtern engagiert.


1945, nach abgeschlossener Ausbildung, war er sechs Jahre lang Schützenmeister und gleichzeitig Vizepräsident der Feldschützengesellschaft Roggliswil. In den späteren Jahren trat er dann mehr als Gönner in Erscheinung.


Im Jahr 1953 trat er dem Pistolenclub Pfaffnerntal bei. In diesem Verein wirkte er 8 Jahre lang als Kassier und 10 Jahre als Präsident. Bei drei Schützenfesten amtete er als OK-Präsident. Bei allen baulichen Veränderungen stellte er sich als Bauchef, Vorfinanzierer und Spender zur Verfügung.  


Ab 1962 hatte unser Vater in Roggliswil 17 Jahre lang das Amt als Schulpflegepräsident inne.


Ebenfalls im Jahre 1962 wurde er in den Vorstand des Luzernischen Sägereiverbandes gewählt. Dort gründete er im Jahr 1974 den Sägerstamm. Dieser Stamm trifft sich noch heute einmal im Monat im Restaurant zum wilden Mann in Sursee.


Weil sich die Kapelle St. Anna selbdritt, im Käppeli, Paffnau in einem desolaten Zustand befand, wurde unser Vater von besorgten Frauen gebeten, er möge sich doch dem Kleinod annehmen und es renovieren lassen. Dies liess er im Jahr 2003 ausführen. In den letzten Jahren war er besorgt dafür, dass ein Verein gegründet wurde, welchem die Pflege und Obhut der Kapelle übergeben werden konnte.


Die letzten Jahre
Als unser Vater ungefähr 85 Jahre alt war, wollte er unbedingt einen Computer anschaffen. Der Schreibende bremste ihn und meinte, dass damit noch wesentlich jüngere Menschen heillos überfordert wären.


Schwager Ivo Müller jedoch fackelte nicht lange und stellte ihm einen gebrauchten PC ins Büro. Bäbu besuchte Kurse bei der Pro Senectute und ab diesen Tagen surfte er im Internet, erstellte Mails und begann mit dem Textprogramm «Word» Bücher zu schreiben. Zuerst eine Biografie über sich selber, dann zwei weitere Bücher über unsere Familie und zuletzt, sein Meisterstück, eine Chronik über das Dorf Roggliswil, worin alle Höfe mit ihrer Geschichte beschrieben sind.


Dank seiner guten Gesundheit hat Bäbu seinen Lebensabend geniessen können. Er war ein guter Jasser und traf sich regelmässig mit Freunden in der Pinte Roggliswil oder in der Badi in Reiden. Er las täglich die Zeitungen und war geistig rege und wach bis am letzten Tag.


Nachdem unser Mueti im Jahr 2015 starb, stellte Bäbu eine Haushälterin ein, was massgebend zum guten Verlauf seiner letzten Lebensjahre beitrug. Die Familie dankt Szilvia Dévenyi für die treuen Dienste für unseren Vater.


Unser Bäbu hielt sich fit mit täglichem sportlichem Training, aber auch das Schiessen, sein grösstes Hobby, wurde jeden Tag geübt.


Dazu hatte er in einem Zimmer in der Wohnung eine Zielscheibe montiert und von der Stube aus wurde mit der Luftpistole darauf geschossen. Sein letztes grosses Ziel war die Teilnahme am Eidg. Schützenfest für Veteranen, welches im August 2019 in Zürich stattfand. Er wäre mit seinen 96 Jahren der älteste, aktive Schütze der ganzen Schweiz gewesen. Und mit 99% Sicherheit hätte er auch einen Kranz geschossen. Durch einen dummen Ausrutscher in der Badewanne verletzte er sich jedoch kurz vor dem Anlass an der Schulter und konnte deshalb nicht teilnehmen. Das hat ihn masslos geärgert.


In seiner Autobiografie schrieb er unter anderem seinen letzten Willen nieder. Er wollte eine Erdbestattung und als Schütze begraben werden. Bäbu hat, nebst hunderten anderer Kränze und Preise, im Laufe seines langen Lebens mit dem Gewehr und der Pistole insgesamt 97 Feldwettschiesskränze herausgeschossen. Die letzten beiden noch im 2019. Diese Kränze formte er auf einem Tuch zu einem Schweizerkreuz. Dieses Tuch sollte an der Beerdigung seinen Sarg zieren. Selbstverständlich haben wir ihm diesen Wunsch erfüllt. Sein zweiter Wunsch war, dass alle Kirchenbesucher an seiner Beerdigung anschliessend zu einem Essen eingeladen werden. Auch diesen Wunsch konnten wir dank der Unterstützung der Verantwortlichen der Gemeinde Pfaffnau, welche uns kurzfristig die Mehrzweckhalle zur Verfügung stellten, erfüllen. Herzlichen Dank nochmals dafür.


Mit Stephan Vonesch-Hunkeler ist ein spezieller Mensch von uns gegangen. Sein starker Wille, seine Offenheit und Kontaktfreudigkeit, die Fülle seiner Erlebnisse und seine schier unerschöpfliche Energie haben uns immer beeindruckt.


Lieber Bäbu, wir danken dir für alles, was du während deinem langen Leben für uns getan hast. Dein Geist und deine Werte leben in uns und in deinen Gross- und Urgrosskindern weiter. Wir werden dich nie vergessen, du wirst immer ein fester Bestandteil in unserem Leben sein.


Eugen Vonesch, Zofingen