Nachruf


Das aktuelle WB-Gspröch

24. September 2018

Jules Wüest

Mauensee/Grosswangen

Lieber Jules, 

du magst keinen Nachruf, hast du uns in deinem langen Abschiedsbrief geschrieben, aber einen Aufruf an die Lebenden. Du hast wohl recht: Ganz am Schluss werden die verschiedenen Lebensstationen und was uns einst wichtig erschien, irrelevant. Sie dienen dann höchsten noch der menschlichen Neugier. Letztlich und endlich zählen andere menschliche Werte, wenn wir einmal gestorben sind.

Jules, du warst in mancher Hinsicht ein aussergewöhnlicher Mensch. Du hast nie geprahlt. Dabei warst du so reich mit Talenten beschenkt. Du hattest ein Elefanten-Herz voller Empathie, Grosszügigkeit und echter Dankbarkeit. Als sprudelnde Inspirationsquelle konntest du die Menschen in deinen Bann ziehen. Das gefiel dir. Deine ganze Schaffenskraft als gestaltender Künstler und Grafiker schienen unerschöpflich. Du hast dabei auch mal übers Ziel hinausgeschossen. Das hast du bewusst gemacht. Humor und Satire gehörten wahrscheinlich zu deinen wichtigsten Charakterzügen, aber auch deine ansteckende Fröhlichkeit.  

Du schreibst, dass die Jahre 1989 bis 1997 deine glücklichsten waren. Es war die Zeit deiner schöpferischen Freiheit und Unabhängigkeit, die für dich das höchste Gut darstellten. Du konntest aber auch ziemlich hartnäckig sein, wenn du von der Richtigkeit deiner Meinung überzeugt warst. Du hast uns gefordert mit deinen kritischen Fragen, deiner Prinzipientreue und deinen sehr durchdachten Äusserungen. Du bist dir stets treu geblieben, unbiegsam und hast dich über Oberflächliches genervt. Wir waren umgekehrt mit unserer Angepasstheit ziemlich anstrengend in deinen Augen. 

Du hattest einen leichten Zugang zu den Herzen der Menschen. Nur der Weg zu deinem eigenen Herzen war oft beschwerlich. Deine Suche nach Glück, Geborgenheit und Verständnis war kein leichter Weg. Das Glück hat dich verlassen. Und du bist daran zerbrochen. Dabei war die menschliche Seite die stärkste von dir. Sie war aber auch gleichzeitig deine Schicksalsseite. Am Schluss hast du dir viel Ballast von deiner Seele geschrieben, über Menschen und Begebenheiten, die dir das Leben so schwer gemacht haben. Du wurdest mit deiner offenen Wesensart oft missverstanden. Du schreibst über Enttäuschungen, Demütigungen, Ablehnung und Respektlosigkeit dir gegenüber. Manches hat bitter wehgetan. Dies hat auch bei uns Traurigkeit ausgelöst. Aber wir waren zu feige, diesen Menschen unsere Meinung zu sagen. Du lehrst uns, mutig hinzustehen – die Stirn jenen zu zeigen, die andere verletzen, ausnützen und innerlich kaputtmachen. 

Jules, du hast der Kirche den Rücken zugekehrt, nicht aber Gott. Dein Wissen über die Bibel und die verschiedenen Religionen hat uns immer wieder fasziniert. In deinem letzten Brief hast du geschrieben: «Wenn ich nicht mit Gewissheit wüsste, dass eine ausgleichende Gerechtigkeit unser Erdenleben ins richtige Lot setzen wird, wäre ich längst ein eifriger Atheist bzw. Antichrist geworden». Du hast die Welt mit anderen Augen gesehen und gehofft, dass sie einst gerechter werden möge, aber die Welt ist, wie sie ist. Trotzdem, es gibt mehr als nur einen Blickwinkel darauf. Diese Welt hat dir in deiner Feinfühligkeit zu wenig Raum zum Atmen gegeben. In der Nacht zum Karfreitag bist du in ihr erstickt. Mit der Plötzlichkeit – und vor allem der Endgültigkeit – hast du uns eine riesengrosse Prüfung mitgegeben. Dein Tod war dann sinnlos, wenn wir aus deinem Vermächtnis von Bescheidenheit, deiner grosser Zuneigung, deinem Gerechtigkeits- und Realitätssinn nichts verstanden haben. Deine Botschaft für eine menschlichere Welt nehmen wir auf. Wir wünschen dir Erfüllung, frei von seelischen Qualen, Zwängen und Schmerz. Die vielen Erinnerungen an dich werden frisch, reich und farbig bleiben.  

Deine Angehörigen